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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 18.01.1918 (3.2012.2822)

 

18. Januar 1918.


326.

Meine Lieben!
Heute vor 2 Jahren habe ich in Tübingen das E.K.II. bekommen. Damals hätte ich auch nicht gedacht, daß ich noch 2 Jahre in Galizien beim Regimentsstabe sitzen würde.
Ich habe zwar gestern im Tagebuch und heute nach Asch die Verbrüderungsfeier am 7. Januar ausführlich beschrieben, aber ich habe die Aufnahmen nun hier liegen, hinausschieben hat keinen Sinn, so müßt Ihr schon verzeihen, wenn ich die Sache kürzer mache, als ich vorhatte und wenn ich womöglich etwas erzähle, was ich mit gleichen Worten Euch schon einmal mitgeteilt habe.
Die Russen hatten uns am 1. Januar ihre Glückwünsche dargebracht, besonders die russ. Ärzte den unsrigen, die Aufnahme davon habe ich Euch geschickt. Der 7. Januar, also der 1. Weihnachtstag der Russen, war für uns willkommene Gelegenheit, um unsererseits den Russen „unsere Sympathie kundzugeben“. Mächtige Vorbereitungen wurden getroffen, Sekt gekauft, verschiedene Anordnungen im Regimentsbefehl gegeben und die Regimentsmusik mußte fleißig proben. Am Morgen des großen Tages ließ ich noch persönlich die 5 Trompeter der Kapelle den „Königsruf“ aus Lohengrin einüben. - Um ½ 12 zogen wir mit klingendem Spiel und in echt preußischer Ordnung an der Gulerka[?] auf, wo sich schon etwa 300 Russen versammelt hatten. Als die Kapelle geendet hatte, traten die 5 Bläser vor und schmetterten zweimal den frisch eingeübten Königsruf den Russen entgegen. Nun hielt der Regimentskommandeur (Major v. Rode) eine ebenso donnernde wie inhaltslose Ansprache, die der Dolmetscher stückweise den Russen übermittelte. Die Rede mußte möglichst phrasenhaft sein, weil man sich jetzt verflucht vorsehen muß gegenüber diesen unklaren Stalinismus- und Staatsbegriffen bei den Russen. Aber sie waren jedenfalls sehr befriedigt und stimmten am Schluß der Rede brüllend in das Hurra ein und während unsere Kapelle „Preußens Gloria“ spielte und wir Offiziere salutierten, grölten die Russen immer weiter Hurra, Hurra, Hurra, bis die Musik abbrach. Nun begann der inoffizielle Teil. Zunächst zog man seinen rechten Handschuh aus und gab allen Mitgliedern des Soldatenrates die Hand unter bedeutungsvollem Gemurmel eines auch vom Sprecher unverstandenen Wortes, das aber sicher von den Russen als eine herzliche Beglückwünschung aufgefaßt wurde. Nun wurde das Klapptischen aufgestellt, die Sektkorken flogen über die Menge knallend in die kalte Winterluft und es wurde kräftig angestoßen auf einen baldigen Frieden. Die beiden Kapellen konnten sich nicht genug tun in Märschen und Polka und Ouvertüren, bis sie plötzlich abbrachen, das Gelächter verstummte und Alles nach rückwärts blickte: der russ. Regimentskommandeur mit Adjutanten Ärzten und einer Krankenschwester erschien auf der Bildfläche. Also etwas Achtung genoß er doch als „Komansirje[?] polkamen“, wiewohl er ja keine Abzeichen mehr trug. Eine nicht sehr große Gestalt in schwarzer Pelzmütze, schwarzem liederlichen Bart und scheuem Blick, recht
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ungebildet und ebenso unrasiert aussehend, das also war der ehemalige Oberst. Na, als man allseitig die Hände gedrückt hatte und seine Ansprache mit einem Hurra beendet war, packten die Russen aus: Große Flaschen wasserhellen Wudki\'s, Ölsardinen, süßes Weihnachtsbrot, das ganz vorzüglich schmeckte u. vieles andere mehr. Der frühere Regimentskommandeur kippte sich erst ordentlich einen ein, wurde dann sehr aufgeräumt, fing an zu tanzen, fiel hin und her und schließlich mußte mein Regimentskommandeur diesen alten schmierigen Kunden den Bruderkuß auf die stachelige Wange drücken! Prost Mahlzeit!
Der Augenblick, ein welthistorisches Ereignis, wurde auf der Platte festgehalten, ich bin zum Glück auch mit drauf, werdet mich schon finden. Aber nicht genug damit, Arm in Arm gingen die beiden zum „Ausschank“ und mein Kommandeur mußte ein bis zum Rande gefülltes Wasserglas voll Wudki in einem Zuge hinunterstürzen, daß ihm grün und blau vor den Augen wurde und die Luft ausging. „Lieber 3 Tage im Trommelfeuer, als eine Verbrüderung nochmal mitmachen müssen“ sagte er am Abend zu uns. - Es wurde natürlich kräftig geknipst, die Aufnahmen lege ich Euch bei. Meine Bildchen sind noch nicht ganz fertig, sie werden im Röntgenlaboratorium des Feldlazarettes entwickelt. Auf 3 der Aufnahmen werdet Ihr mich finden, auf der vierten, wo der deutsche Regimentskommandeur seine ganze Umgebung heldenhaft überragt, drängte ich mich dazu, aber ich glaube, nicht mal mein Mützenschirm ist drauf gekommen. Auf der gleichen Aufnahme seht Ihr einige russ. Musiker mit ihren Instrumenten. Die beiden Russen mit den Sektgläsern sind der Vorsitzende und der Sprecher des Soldatenrates, die Ihr auf der Bruderkuß aufnahme beide links und rechts von mir stehen seht. Auf letzterer sitzt ganz vorne (Pelzmütze) der russ. Regimentsadjutant, neben ihm Leutn. Eisele vom Regimentsstab, von dem ich Euch wohl schon öfter schrieb (in Chile geboren, Kunstbildhauer, Künstler durch und durch). Die Russen mit den weißen Armbinden sind die Mitglieder des Divisions-Komités. (Vorne rechts prächtiger Kaukasier (mit Schnurrbart)) Auf der Aufnahme, wo mein Gesicht unterstrichen ist, steht in der Mitte unser Verhandlungsoffizier, Leutn. Bornebusch (Lipper[?]), der kürzlich einen hohen Lippischen Orden bekam für seine Verdienste um Herbeiführung der Russen. In der ersten Zeit (Ende November), wurde er bei jedem Annäherungsversuch von Russischen Offizieren mit Maschinengewehren beschossen. -
So, nun könnt Ihr Euch wohl eine kleine Vorstellung machen von der Art unserer jetzigen Kriegführung. - Ich gehe jetzt zu einer Theaterprobe, an Kaisers Geburtstag führt eine im Regiment zusammengestellte Theatergruppe einen lustigen Einakter (Erlebnisse eines 56ers in Galizien) auf; ich werde Euch noch näheres darüber erzählen, will mir die Sache heute mal ansehen.
Nun aber Schluß! Halt, eben fällt mir ein, Geh. Rat Pohle hat einen Ruf nach Leipzig bekommen? Ihr habt mir nichts darüber geschrieben, las es in der Tägl. Rdsch. -
Laßt\'s Euch Alle recht gut gehen u. seid 1000 mal gegrüßt von Euerm Euchl. Wolf.

 

 



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