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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 20.04.1915 (3.2012.2822)

 

20. April 1915. In der Bude.


№ 107.

Meine Lieben!
Einen Pfingstbrief sollt Ihr doch haben, wenn es mir auch diesmal noch schwerer, als beim Jubiläumsbrief № 100 fällt, einen Stoff zu finden, denn ich wüßte wohl gar vieles Euch zu berichten, Dinge, die Euch höchlichst interessieren sollten, aber – ich darf\'s leider nicht. Ihr wißt, daß hier die Censur sehr streng ist, und es auch sein muß. Wir sind hier im Elsaß und unter Einwohnern, die den letzten Franzosenbesuch noch nicht vergessen haben. Wenn die große Menge vielleicht auch recht königstreu ist und den Segen der deutschen Oberherrschaft einsieht, so sind doch sicherlich noch genug Leute darunter, die durch die Pressen irregeleitet und durch das propagandamäßige Auftreten der Franzosen bei ihrem Einmarsch in die elsässischen Dörfer verblendet, eine französische Regierung im Lande wünschen, und mit allen Mitteln arbeiten, die unser Heer schädigen können. Es sind nämlich Dinge vorgekommen, die mir höchst verdächtig erscheinen, und die Heeresleitung tut gut daran, die schärfsten Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. - Verzeiht, daß ich Euch mit lauter Allgemeinheiten langweilen muß. Die konkreten Dinge darf ich nur noch meinem Gedächtnis anvertrauen, das nun sehr belastet wird, nachdem mir auch das Tagebuch geraubt worden ist. - Ich empfinde seinen Verlust überhaupt recht schmerzlich, und bin deshalb herzlich froh, daß ich mit Johannes immer zusammen bin. Man hat oft genug das Bedürfnis, sich gegenseitig auszusprechen, und in Johannes habe ich einen Freund für\'s ganze Leben gefunden. Wir sind Tag und Nacht umeinander. Wie herrlich ist es, daß wir zwei diese große Zeit so eng und treu verbunden erleben dürfen!
21. April 1915. Gestern Abend war\'s schon zu finster zum Weiterschreiben, wie Ihr an den schiefen Zeilen oben seht. Ich will den Brief nun fertig machen, daß er Nachm. noch mit fortkommt. - Heute ist wieder arg nebliges Wetter, überhaupt die ganze letzte Woche nur scheußlich naß. Unsre Stiefel werden überhaupt nicht mehr trocken. Wir müssen jeden Morgen unsre Stiefel zum Exerzieren haben, da können sie nicht austrocknen. Unser Exerzierplatz ist, wie Ihr wißt, eine herrliche Blumenwiese, die bei Sonnenschein einen einfach idealen Exerzierplatz abgibt, bei Regenwetter aber furchtbar unangenehm ist. Das hohe Gras hält die Nässe so fest, daß die schmutzigsten Stiefel nach 10 Schritten in Gras Hochglanz haben, vom Wasser natürlich! Die 3 Stunden jeden Vormittag sind etwas zu lang, 2 wären völlig ausreichend. Wir tun ja nichts, als „Griffe klopfen“, marschieren und erhalten Instruktion über alles infanteristische. Es ist jeden Tag die selbe Leier. Zum Glück ist unser Lehrmeister ein sehr netter Feldwebelleutnant, der sehr mild mit uns ist. Die letzten beiden Tage wurden dadurch belebt, daß ein Zug der ..ten Kompanie mit uns exerzierte, und wir Einjährigen als Gruppenführer eintreten durften. Das Kommandieren lernen wir recht gut dadurch, das immer einer von uns das Kommando bekommt, und nun die anderen exerzieren und Schützenlinien bilden läßt und abfragt über das Gewehr, Vorposten u. s. w. Neulich exerzierten wir gerade recht stramm über die Wiese, da pfiffen auf einmal Gewehrkugeln hoch über unsre Köpfe weg oder schlugen ziemlich weit vor uns, in die Wipfel der Bäume. Da hatte irgend so ein „“Braunaffe“ (Alpenjäger) uns entdeckt und blaffte nun los, was das Zeug hielt. Treffen konnte er allerdings nicht, da eine Waldecke die Kugeln auffängt und die drüber wegfliegenden erst weit hinter uns einschlagen, aber die Franzmänner im Schützengraben werden schöne Gesichter gemacht haben, als ihnen der zurückkommende […] erzählte, daß die Deutschen paar 100 m hinter der Front Soldaten einexerzieren. „Die müssen doch noch viele Kräfte haben“, werden sie sich denken. Und neulich, als der Sieg in Westgalizien bekannt wurde, werden sie auch nicht schlecht gehorcht haben, als wir wie verrückt Hurra schrien und im Tal die Glocken läuteten! Humor und gute Stimmung zeigen hier alle. Die ältesten Landwehrleute erzählen Dir mit lachendem Gesicht, daß sie heute Nacht im Schützengraben beinahe fortgeschwommen wären vor Regen, und die poetischen Inschriften im Graben zeigen doch soviel Leben und guten Mut! Einer, den die Sehnsucht nach dem lange vermißten Bier und Wein verzehrte, schrieb hoffnungsvoll in den ersten Maitagen vor seine Scharte: „VI. Mai. Kaiser sein Geburstag da gibst Bier und Wein!“
Johannes u. ich haben natürlich auch schon kräftig zum Schmuck Grabens mit Inschriften beitragen. Wir zwei sind überhaupt den
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ganzen Tag vergnügt und ausgelassen, unterhalten uns aber auch sehr vernünftig, erzählen uns gegenseitig von zu Hause und vergleichen unsre jetzige Lage und Tüchtigkeit mit unserer Schul- und Friedenszeit, schwärmen auch viel von der Zukunft. Jetzt, wo man so denkbar einfach lebt und alle möglichen Entbehrungen als ganz selbstverständlich hinnimmt, zeigt sich so recht, wie viel Üppigkeit und maßloser Tand uns doch in der Großstadt umgibt, und was für ein Segen die Wissenschaft und Technik für uns ist. Hier bist Du um jedes Streichholz besorgt und ein Lichtstumpf gibt für 20 Mann Licht zu Essen, Lesen u. Schreiben. Daheim drückst Du in Deinem Zimmer auf den Knopf an der Wand und ein Meer von Licht leuchtet Dir, wenn Du die kleinste Tätigkeit vornimmst. Im Schützengraben gibt\'s ja überhaupt kein Licht, und wenn Du nachs[?] auf die Uhr sehen willst, mußt Du warten bis eine Leuchtkugel hochsteigt. Wenn Nachts abgelöst wird, stolperst Du und rutscht über glatten Felsen und Wurzeln und Steine zum engen Unterstand, in dem Du 2 Stunden „schlafen“ darfst. Zum Schlafen hast Du natürlich Mantel, Patronentaschen, Koppel, Seitengewehr und alles auf, beziehungsweise unter Dir, und wenn Du nach 2 Stunden geweckt wirst, sind die Füße eiskalt, die Beine bis zu den Hüften steifgefroren, ein Arm, den Du als Kopfkissen benutzt hast, eingeschlafen und Rücken u. Seiten voll schmerzhafter Druckstellen. Aber das macht nix u. fröhlich und guter Dinge sind wir immer. Über solche Sachen machen wir Jungen uns nur lustig. Nun lebt wohl, feiert ein recht fröhliches Pfingstfest im sonnigen Garten u. seid 1000 mal gegrüßt von Euerm Euchliebenden Wolf.
Für die Filurs[?], Paste und „Kekse“ herzl Dank!
Einen bemalten Honigglasverschlußpappdeckel lege ich bei.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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