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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 16.04.1915 (3.2012.2822)

 

Freitag, den 16. April 1915 Im Schützengraben.


№ 81.

Meine Lieben!
Heute bin ich zum zweitenmale auf 24 Stunden im Schützengraben, da sollte Ihr doch gleich auch wieder einen Briefgruß haben, besonders nachdem ich Euch gestern nicht geschrieben habe. Den guten Willen hatte ich zwar, aber wie ich die Karte schreiben wollte, hieß es „umhängen“ und los gings in den Schützengraben. Am Tage war unsere ganze Beschäftigung folgende: Schlafen bis 10 Uhr – eine Beschießung mit einigen Granaten am Abend und Vormittags konnte uns nicht weiter stören in unserem sicheren Unterstand – aufstehen und frühstücken (Komißbrot mit Schmalz und Tee bis 11 Uhr, sofort anschließend Empfang des Mittagessens in Kochgeschirr (Dörrgemüse, Fleisch und Fettbrühe, Bohnen u.s.w. durcheinander), dann wieder Faulenzen, Mundharmonikaspielen, essen, plaudern, alles kann mich sich machen, wie man selbst will. Großartig einfach! Der 24stündige Dienst im Schützengraben macht aber auch diese ausgiebige Ruhe notwendig.
[Nachzeichnung Wassertropfen auf Papier + Pfeil] Wassertropfen vom Unterstand!
Aber Ihr wißt noch garnicht richtig, was so ein Schützengraben ist, Also gebt mal acht! Der Zweck eines Schützengrabens ist, der Infanterie unbeschränkte Schießgelegenheit zu gewähren, ohne daß sie selbst gesehen wird und von Infanterie erfolgreich beschossen werden kann. Zugleich muß er Deckung gegen Artilleriefeuer gewähren und ein bequemer Verbindungsweg an der ganzen Front entlang sein. Alle diese Bedingungen werden erfüllt dadurch, daß der Graben möglichst tief gelegt wird, die ausgeworfene Erde großen auffälligen Erdwall bildet, sondern nur einer sanften Erhebung im Gelände gleicht, wobei möglichst natürliche Gräben, Strauchgruppen, Hecken, Hohlwege u.s.w. ausgenutzt werden müssen. Für jeden Soldaten befindet sich an der Frontseite des schmalen Laufgrabens ein erhöhter Schießstand, der durch eine Panzerplatte mit verschließbarem Schlitz Beobachtung und Schießen ermöglicht und zudem links und rechts, und z. T. auf der Platte durch Sandsäcke und Flechtwerk den Schützen schützt. Der Graben muß oben möglichst schmal sein, damit den über ihn krepierenden Artilleriegeschossen möglichst die Streuwirkung verhindert wird.
[2 Skizzen mit Erklärungen]
Richtiger Graben krepierendes Geschoß Unterstand
Falscher Graben
Das ist aber nur eine Vorsichtsmaßregel. Wirklichen Schutz gegen Artilleriegeschosse bieten erst die Unterstände, die durch ein Erdloch hinter jedem Schützenstand zugänglich sind. In diese flüchtet alles, so wie der Feind seine Granaten herüberjagt. Daß ein solcher „Unterstand“ nicht zu den angenehmsten Aufenthalten zählt, könnt Ihr Euch denken. Nur tief gebückt gelangt man in das niedrige Loch und steht dann meist in Schlamm, schmiert sich überall an den Wänden den Buckel und die Ellenbogen voll feuchte Erde (= Dreck!) und dann tropft es immer von oben herunter. (s. vorige Seite!) Trotzdem schlief ich schon einige ½ Stunden sehr fest darin. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Im Mantel, die schweren Patronentaschen, Seitengewehr und Schanzzeug umgeschnallt legte ich mich einfach in das Loch hinein. Daß ich dabei auf der blanken Erde und mit dem Oberkörper tiefer als mit den Beinen lag, konnte dem gefundenen Schlaf keinen Einhalt tun. Ich steckte die Hände in die Manteltasche, lehnte den Kopf in die Erde gegen die feuchte Erdwand und schlief fest wie im Bett. Ach, wie fern sind wir von aller Kultur! Ein Bett! Ein gedeckter Mittagstisch! Ein eigenes Zimmer mit richtigen Fenstern! Ein Stuhl mit 4 Beinen! Welche goldenen Traumbilder steigen vor mir auf! - - Um 6 Uhr waren wir schon im Graben und hielten abwechselnd Wache vor den Schießscharten. Um 9 Uhr beginnt der Nachtdienst, bei dem die Hälfte der Mannschaft 1 Stunde Ruhe hat, während die andere arbeitet. Meine Tätigkeit in der vergangenen Nacht war etwa folgende: von 9-10 stand ich Posten an der Schießscharte. Ab und zu ist auch ein Blick über die Wehr erlaubt, um mal das ganze Gelände ungehindert überblicken zu können, aber aufsteigende Leuchtkugeln bringen den Kopf des Wachsamen schnell wieder hinter die sichere Wehr. Pfiju, pfiju pfeifen 2 Kugeln vorbei; der Feind ist sehr wachsam und schießt gern, wenn er auch nichts sieht, eine Kugel könnte ja vielleicht mal treffen. Plötzlich regen sich vorne, ganz nahe, schwarze Gestalten, gebückt, unsicher schleichen sie hin und wieder und stellen dem Feind ihre Netze: es sind unsere Pioniere, die die furchtbaren Stacheldrahtverhaue vor unsern Gräben an-
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legen und jede Annäherung des Feindes unmöglich machen. Der im Sturm vorgehende Feind bleibt in den Stacheldrähten hängen und wird von den Maschinengewehren niedergemäht.- - ja, so grausam ist der Krieg, schrecklich! - Aber es muß einmal so sein! - Von 10-11 lag ich mit Johannes im Unterstand, in eine Zeltbahn eingewickelt. Nebenan hörten wir vom Artillerietelefon die Kommandos in einer Batterie, und als es plötzlich hieß „Erstes Geschütz – Feuer!“ da hörten wir es krachen und heulend fuhren die Schrapnells über unsern Graben weg hinüber zum Feind. Von 11-12 stand ich wieder Posten am Schießloch. 12-1 Johannes u. ich ruhen auf eine Sack einträchtig, zum schlafen bereit, da kommt der Unteroffizier „Wer will freiwillig zu einer Patroille mit? Es ist ein Befehl an die 7. Kompanie zu überbringen. Wir sprangen beide auf. Johannes ging mit und ich wickelte mich wieder ein, da auf einmal geht es bum – pfuiich – krach!! und eine Granate schlägt nicht weit von uns ein. Eins zwei drei sind wir im Unterstand und horchen auf die fauchenden Ungeheuer. Bum-pfuiich-krach, bum-pfuiich-krach sausen sie herüber und krepieren mit einem wiederwärtigen Krachen, daß die Wände im Unterstand zittern und lose Steinchen und Sand an den Wänden herunterrieseln. Am Abend, gegen Sonnenuntergang, waren schon mal ein Paar herübergekommen und hatten eine Birke gefällt. Sie schlugen weit genug von uns ein, sodaß wir sie beobachten konnten. Dicker schwarzer Rauch und Pulverdampf, und noch einige Zeit nach dem Krepieren summen die Splitter, sich wie ein Kreisel um sich selbst drehend durch die Luft. Dazwischen fliegen friedlich die Junikäfer, hin und her über den Graben, sie wissen nichts vom Krieg und Gra-
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naten. Junikäfer und Granatsplitter summen durch die Luft, welch idyllische Eintracht. - Ich schlief nachher noch ein bißchen, viel Zeit war nimmer, um 1 zog ich mit einem Landwehrmann von meiner Gruppe auf Horchposten. Wir hatten den Befehl, besonders scharf und genau aufzupassen, da im Gefechtsabschnitt D (ich liege in Abschnitt C 2) vom Feinde Handgranaten in den Graben geworfen worden waren. Ich legte mich diesmal nicht hinter den Wall, wie letztes Mal, [...] oben drauf auf den Bauch, das Gewehr schießbereit im Arm. In den Argonnen, wo die Gräben sehr nahe liegen, knattern fortwährend die Gewehre. Leuchtkugeln steigen auf, ab und zu fliegt eine Kugel singend über uns weg. Bis 2 Uhr regt sich nichts. Jetzt werden wir ja abgelöst. Aber wir warten, warten, warten, es kommt niemand. Wir dürfen von unserem Posten nicht weichen, und wenn es Morgen wird. Ich spähe scharf nach vorn, da plötzlich regt sich was, ganz vorne, vor dem Drahtverhau höre ich Flüstern, das näher kommt. Ich winke meinem Kameraden, der hinter dem Walle lauscht, er kriecht zu mir herüber und späht hinaus. Er will das entscheidende „Halt! Wer da?!“ rufen und springt wieder nach seinen Platz. Die Stimmen kommen immer näher, aber im Dunkel der Nacht ist nichts zu sehen Alles gleich schwarz. Da plötzlich singt eine Kugel von drüben herüber, jetzt weiß ich, daß es keine Franzosen sein können. Das sprechen wäre für den Feind auch zu unvorsichtig gewesen. In der Tat war eine Patrouille von uns vor gewesen, wie ich nachher erfuhr, als wir endlich um ½ 3 abgelöst wurden. Um 3 Uhr ging ich (freiwillig)
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zur Verbindungspatrouille mit. Ein langer Laufgraben, entlang einer Landstraße führt und, teilweise durch fußtiefes Wasser und Schlamm zum Schützengraben der anderen Kompanie. „Patrouille von 8. Kompanie 56!“ „Guten Abend, Kameraden, tönt es zurück. Einige freundliche Worte werden gewechselt und wir gehen zum Zweiten Mal die Strecke ab, wieder in unsern Graben zurück. Infolge starker Inanspruchnahme zu Patrouillen, Posten u.s.w. war die Grabenbesetzung recht schwach, sodaß ich noch bis um 5 auf Posten stand. Von 5-7 muß alles auf den Beinen sein, da die Franzosen in der Dämmg gern Angriffe machen. Aber nichts regte sich, es wird im heller, ein strahlender Morgenhimmel mit verblassenden Sternen erinnert noch an die Nacht im Schützengraben, da kommt schon der heiße Kaffe vom Lager herauf und ein Feldbecher voll wird behaglich hintergeschlürft und bringt wieder Leben in die steifen Glieder. Vorm. spielte ich mit Johannes Mühle, stand Posten, plauderte, Mittags holten Johannes und ich unten im Lager den großen Kessel mit dem Mittagessen den wir auf einer Stange, wie jene Jünglinge ihre Traube, als lockenden Gruß in den Graben tragen. Als wir allen geschöpft hatten und eben den Kessel wieder forttragen wollten, da mußten wir zweimal den Kessel stehn lassen und Hals über Kopf in den Unterstand flüchten. Die Schweinehunde funkten wieder herüber, daß der Dreck spritzte. Der Laufgraben lag nachher voll Rinden und Holzstücke, wir fanden auch Granatsplitter, einen habe ich mir aufgehoben. Nachm. Photon(!), schreiben. Jetzt bin ich wieder im Lager, gespeister Weise. Fühle mich äußerst wohl!
1000 herzl. Grüße Euer Wolf.
Antwortet bitte nicht auf diesen Brief. Meine Anschrift ändert sich morgen wahrscheinlich u. das Nachschicken dauert endlos!
Johann läßt Euch herzlich grüßen,
Für Mutti\'s lieben langen „100“ Brief vielen 1000 Dank! Wie habe ich mich gefreut! Vati\'s liebe Karte aus Hirschhorn erhielt ich gestern. Da habe ich rechte Sehnsucht nach meiner deutschen Heimat im Frieden bekommen.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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