Im Schützengraben. Geschrieben, den 14. April 1915. Nachmittags

№ 80.

Meine Lieben!
Auf dem Bauche in einem Erdloch liegend versuche ich, sogut es mit den steifen Fingern geht, Euch einen recht herzlichen Schützengrabengruß zu senden. Nun bin ich endlich an der richtigen echten Front, ganz vorne, 650 m vor unserem Graben liegt der Feind! Gestern Abend rückten wir in Stellung mit Tornister und allem, ein Stückweg hinterm Lager über freies Feld, dann bergan und in einen Laufgraben, der uns der feindlichen Sicht entzieht. Der Schützengraben ist so eng, das kaum 2 Mann aneinander vorbei können, alle drei Meter ist ein Schießstand, d. h. eine durch eine Panzerplatte geschlossene Schießscharte. In der Platte ist eine O förmige Öffnung zum Ausspähen. Es war ein eigenartiges Gefühl, als ich zum ersten mal den Feind so nah vor mir sah! Um 9 Uhr etwa zog ich, der jüngste von der Kompanie(!) mit einem über 40 jährigen graubärtigen Landwehrmann, dem Kompanieältesten(!), auf Horchposten! Am rechten Ende des Schützengrabens, in einem Birkengehölz, mußten wir heraus und bieten etwa 10 m weit dem Feind unsern ganzen Körper als Ziel, bis dann ein voll Wasser stehender, verschlammter Graben uns wieder aufnahm. Die Franzosen schießen fortwährend nach dem Graben, viele Kugeln pfiffen unmittelbar neben oder über uns und schlugen ganz nahe in die Erde oder in die Birken. Das Singen der Kugeln ist eine höchst eigenartige Musik. Heute Vorm. jagten die Franzosen 3 Granaten auf unsern Graben, natürlich ohne Schaden anzurichten. Ich hatte mich gerade in so ein Unterstand genanntes Erdloch zur Ruhe hingelegt, da machte mich das furchtbare Heulen und Krachen schnell wach. Die Schweinehunde! Unsere Artillerie hat ihnen schnell das Maul gestopft. 1000 herzl. Grüße Euer Wolf.
Unsre Postzufuhr ist seit 2 Tagen unterbrochen. Habe daher lang keine Nachricht mehr von Euch. Es schießt den ganzen Tag! Unsere Artillerie schießt gerade über unsern Graben weg in die feindl. Batterien. Wie da die Luft zittert. Man hört am ganzen Himmel die Geschosse herumheulen! Ein feines Konzert!