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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Verwandten am 10.03.1915 (3.2012.2822)

 

Brécy sur Aisne, 10. 3. 1915.


Beantw. 21.3.1515.

Meine lieben Aschlauten[?]!
Nun endlich, endlich sollt Ihr wieder mal ein Lebenszeichen von mir haben! Ich bin wirklich ganz beschämt, daß ich Euch so lange nicht für all Eure lieben Briefe und Paketchen gedankt habe. Diese meine Nachlässigkeit kann ich nur ganz wenig entschuldigen durch den Umstand, daß ich recht wenig Zeit zum Schreiben habe und oft nur mit Not meine „offizielle Tagesberichtskarte“ nach Frankfurt fertigstellen kann. Ich bitte Euch also nochmal herzlich um Verzeihung und ich will mich in Zukunft ein wenig dankbarer erweisen, als ich es bisher getan habe.
- Ich sitze eben in der Wachstube der 19er Munitionskolonne. Um 10 habe ich Nachtposten an der Aisnebrücke. Am Kamin knistern gemütlich die Eichen- und Eschenklötze, die wir neulich im Wald gehackt und gespalten haben, da habe ich gerade Zeit, mit Euch ein bißchen zu plaudern. -
Wie mir Großvati in seiner lieben Karte aus dem „grünen Baum“ in Selb mitteilt, habt ihr so vielen Schnee gehabt, wie seit Jahren nicht. Wir haben hier in Brécy unter Schnee nun garnicht zu leiden, und ich glaube, an der ganzen Westfront (außer den Vogesen) waren die Schneefälle in diesem Winter gering. Im Osten muß dagegen die Schneeplage gar groß sein, und mir tun meine Kameraden sehr leid. Es ist doch sehr schwer, wenn zu den Anstrengungen des Kampfes auch noch die Unbilden der Witterung ertragen werden sollen, und die Ruhe im Quartier durch Ungeziefer gestört wird. Von all diesem haben wir in unserem sicheren warmen Standquartier noch kaum etwas gemerkt. Wir sind so schön aufgehoben, haben leidliche Betten, gutes Essen, und keinen anstrengenden Dienst, sodaß sich diese Art des Kriegs für mich wie eine Sommerfrische ausnimmt. Mir bekommt das Leben im Felde ausgezeichnet. Ich habe sicher schon zugenommen, bin jedenfalls gut aussehend und fühle mich frisch und munter, was ich hauptsächlich der guten Luft und dem langen Schlaf zuschreibe, die wir beide ausreichend genießen können.
Ein herrliches Vergnügen ist es immer, wenn wir in den Wald gehen, Bäume fällen, ausputzen (von den Ästen befreien), in Blöke zersägen und diese zu Brennklötzen spalten. In den französischen Wäldern sieht man so recht, wie aber auch sonst allenthalben, die französische Lotterwirtschaft. Die Wälder sind von Sachverständigen untersucht worden, und diese haben festgestellt, daß an den Forsten seit 30-40 Jahren überhaupt nichts gearbeitet worden ist. Die großen Bäume sind durch Gestrüpp und Dornen am Wachstum behindert und die brauchbaren Gesträuche können sich nicht ordentlich entwickeln, weil ihnen die Bäume das Licht wegnehmen. In Deutschland findest Du keinen Wald, in dem eine solche Mißwirtschaft herrscht. Überhaupt, wo man hinschaut, stößt man auf liederliche und schmutzige Arbeit. Die Häuser sind sträflich leichtsinnig gebaut das kann man garnicht Häuser nennen, das sind alte Baracken und Schmutzlöcher, in denen das Gesindel wohnt. Durch Keller und Boden pfeift der Wind, in die Zimmer tropft bei Regenwetter das Wasser von oben herein, die Füße frieren auf dem löcherigen Steinboden und die Lehmwände sind von Mäusen und Ratten an allen Ecken und Enden durchlöchert. Wenn es regnet, kann man nicht aus dem Hause gehen, denn vom Dach strömt der Regen in der ganzen Breite des Hauses Gießbachartig herunder. Dachrinnen kennt man ja nicht. Und so ist es vorn und hinten und oben und unten. Da war es Zeit, daß wir Deutsche mal als Kulturpioniere in dies Land kamen. So sauber wie jetzt, war Brécy gewiß noch nicht unter französischer Herrschaft. Die Einwohner müssen aber auch jeden Samstag, von einem Gendarmerieunteroffizier beaufsichtigt, die Straße reinigen. Den Mist aus unseren Ställen fahren wir auf die Felder, wo er jetzt umgepflügt wird. Die Felder werden alle besät, sodaß wir auf eine gute Ernte auch für 1915 hoffen können. - Der Bogen geht zu Ende! Ein andermal mehr. Also nochmals vielen Dank für Eure lieben „süßen“ Sendungen und 1000 herzliche Grüße von Eurem Euchliebenden
Wolf.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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