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Brief (Transkript)

Rudolf Emmerich an seine Eltern am 15.04.1916 (3.2011.3532)

 

15.4.


Du hast ja recht, l. M., daß ich recht lange keine Nachricht gegeben habe. Aber es giebt wirklich von hier so furchtbar wenig zu erzählen, u. was mir am meisten im Kopf rumgeht, ist eigentlich nichts Angenehmes. Namentlich das Verhalten des Kompanierführers, der in Gent die Leute etwas hoch genommen hat u. sich hier furchtbar wenig sehen läßt, weil manchmal in die Nähe des Quartiers geschossen wird. Das sind sehr eigentümliche Zustände. Wir haben uns ein kleines Kasino eingerichtet u. sitzen dort manchmal ganz gemütlich zusammen. Bloß ein activer Oberleutnt., der auch eine Komp. in Gent führt, gefällt uns allen gar nicht. Er ist nun schon seit Januar 1915 in Gent, hat also den Winter 1914 in Flandern mitgemacht, aber seitdem keine Kugel mehr pfeifen hören. Im Kasino führt er natürlich immer das große Wort. Wenn Abends der Tagesbericht vorgelesen wird u. es stehen nicht mindestens 2000 Franzosen vor Verdun drin, so ist der Bericht nach seiner Ansicht: „dünn, dürftig“ oder sonst wie. Nichts kann mich mehr ärgern, als wenn jemand u. noch dazu in diesem Fall einer der wirklich in der vordersten Linie noch nicht zu viel geleistet hat, ein Urteil erlaubt über die Tagestätigkeit unseres Frontheeres. Und das muß man nun tagtäglich hören. Ich muß immer sehr an mich halten, um nicht mal was zu erwidern. Aber was bin ich armer Kriegsfrw. Leutnant gegen einen „activen“(!) Oberleutnant. Es ist wirklich schamlos. Mit solchen Sachen könnte ich Bogen voll schreiben. Gottseidank habe ich dafür einen guten Komp. Kameraden gefunden. Wir waren schon im Sennelager zusammen in einer Komp., ein stud. chem. aus der Mark. Wir spielen tüchtig Skat zusammen mit noch einem Vize aus der Komp. u. schimpfen uns dabei immer kräftig über die traurigen Verhältnisse bei der Etappe aus; denn wir fühlen uns doch noch mehr als Frontschweine denn als Etappenschweine.
Neulich habe ich auch mal das 1. Bat. 233 besucht, was ja gar nicht weit von hier in Stellung liegt. Sie waren ja alle ganz nett zu mir, schimpften doch aber sehr über die Etappe. Als ich endlich mal einem erklärte, daß ich nichts dazu könnte, daß ich nach Gent kommandiert worden wäre, lachte er u. sagte: „Du kannst natürlich nichts dazu, daß Du einen „Lands“ als Bat. Adjutanten hast!“ Ltnt Brendler wollte mir also einen Gefallen tun, u. er weiß gar nicht, was er für ein Unheil angerichtet hat. Na, meine stille Hoffnung ist immer, daß ich wieder bald angefordert werde vom Regiment. Allerdings soll der neue Reg. Kommandeur ein sehr strenger Herr sein u. nicht wie „Papa Stropp“, wie der frühere Oberst immer genannt wurde. Hoffentlich komme ich dann wieder ins 1. Bat. -
Wir haben bis jetzt immer bei der schweren Artillerie gearbeitet. Das freute mich, daß ich den Betrieb dort auch ein bischen kennen gelernt habe. Wie u. wo die Stellungen gebaut werden u. überhaupt die ganzen Einrichtungen. Ich frühstückte dann immer mit einem Herrn von der Batterie zusammen, bei der wir arbeiteten. Quartiere hat die schwere Artillerie – das ist nicht zu glauben. Da kann die Infant. mit ihrem nassen engen Unterstand wirklich nicht mit. Ungefähr 3500 m vom vordersten Graben entfernt ein vollständig erhaltenes Bauernhaus mit schönen großen Stuben. Der Frühstückstisch trug eine schöne weiße Decke, Lehnstühle, electrische Klingel für die Burschen. „Jugend“bilder u. Kohlezeichnungen von einem Kriegsfreiw. der Batterie an der Wand. Während wir den unvermeidlichen „Divisionskäse“ vertilgen, tönten mir aus einem Grammophon die Klänge eines Cellosolos entgegen, das ich oft mit Mutter gespielt habe. Da sah ich Mutter am Klavier sitzen, mich selbst hinter meinem Notenpult, Vater saß im Sessel u. machte ein Nickerchen, unbekümmert um die Mißtöne, die ich aus meinem Instrument hervorbrachte. O, Jugendzeit!
es war Berceuse de Jocelin. - Habe ich schon geschrieben, daß Treichler neulich bei einem Konzert in Rousselaere mitgewirkt hat? Ich konnte leider nicht hin, weil ich am nächsten Morgen um 4 zum Arbeitsdienst mußte. Ich wäre sehr gerne hingefahren, u. wenn es blos gewesen wäre, um Treichlers unvorschriftsmäßigen Haarschnitt zu sehen u. mich dadurch nach dem Jungsgarten versetzen zu lassen.
Nun gute Nacht! Das electrische Licht ist schon ausgedreht, also schon über 12. Aber morgen kann ich ausschlafen. Fröhliche Ostern! Rudi.

 

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