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Brief (Transkript)

Rudolf Emmerich an seine Eltern am 26.12.1915 (3.2011.3532)

 

26.12


…. Unsere Weihnachtsfeier ist sehr schön verlaufen. Am Heiligabend hatte unsre Komp. leider Arbeitsdienst von früh um 6 bis fast zum Anfang der Christmesse, u. wir konnten also mit unsern schmutzigen Sachen nicht hingehen. Am 1. Feiertag früh war dann Gottesdienst. Draußen vor der Kirche standen 2 Bat. u. warteten, bis die Männer, Frauen u. Kinder aus der Kirche raus sind. Wenn wir dann hineinströmen, finden sich immer n paar alte Mütterchen, die sich verspätet haben in ihrer Andacht u. die nun ängstlich dem Ausgang zustreben. Ich der Kirche ist noch Weihnachtsduft u. betäubt uns zuerst n bischen den Kopf. Der Weihnachtsbaum brennt schon u. versetzt uns in die richtige Stimmung. Ich mußte viel an die Weihnachtsferien in Burg denken, wo die Kinder immer so schön gesungen haben. Bei dem katholischen Gottesdienst haben hier auch Kinder aus dem Ort „Stille Nacht“ gesungen, aber bei den Erzketzern ließen sie sich natürlich nicht sehen. - Mit der Bevölkerung kann man sich auch ganz gut verständigen. Wenn man auch ihr „vlansk“ nicht sprechen kann, so versteht man es doch ganz gut. Als Festessen gab es gestern Hackebraten, Kartoffelsalat u. Rotkraut bei der Komp. - Nachmittag um 3 Uhr fing dann unsere Komp. feier an. In dem Arbeitssaal einer großen Spinnerei hier war ein Weihnachtsbaum geputzt worden mit Baumschmuck aus Sonneberg oder Lauscha, an den Wänden hingen Tannenzweige u. an einer Wand hing ein Bild unsers Kaisers, das ein Gefr. von unsrer Komp. gemacht hatte. Die Regimentskapelle war auf die einzelnen Komp. verteilt worden. Wir hatten einen Klavierspieler, eine Flöte u. eine Geige. Ich hatte mit viel List u. Tücke ein Klavier erobert. Nun wurde Musik gemacht, Vorträge gehalten, gesungen, der Leut. hielt eine Rede u. gedachte darin der letzten Weihnacht, die die Komp. im Graben vor Langemark verbracht hatte. Sämtliche Offiziere vom Bat. waren da, auch der Hauptmann mit dem Adjutanten. Dann bekam Jeder ein großes Liebesgabenpacket u. ein Los. Bei der Verlosung gabs dann Tabakspfeifen, electr. Lampen, Zigarrenspitzen, Zigarren, Scheeren u.s.w. Für die Komp. waren 4 kl.[?] Bier aus Worms aufgelegt. Als die Offiziere dann fort waren, gab es komische Vorträge, es wurde getanzt. Als Abendbrot war Kartoffelsalat Gulasch u. kalter Hackebraten da. So blieben wir sitzen u. freuten uns, bis das Bier alle war. - Als ich den nüchternen Maschinensaal gesehen hatte, hätte ich nicht gedacht, daß die einfachen Tannenzweige den Raum so feierlich u. heimatlich u. so gemütlich machen könnten. Am 11 Uhr steuerten wir als letzte unsern Bettzipfeln zu.
Gruß! Rudi.

 

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