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Brief (Transkript)

Rudolf Emmerich an seine Eltern am 29.01.1915 (3.2011.3532)

 

Rawa 29.1.


Meinen allerherzlichsten Glückwunsch zu Deinem Geburtstage, liebe Schwester, zuvor. Bleibe recht gesund und munter u. mache Deinem Gatten Freude: Webe ihm himmlische Rosen ins irdische Leben. Zu Tante Liesens – ich meine zu Kaisers Geburtstag hatten wir Feldgottesdienst. Wir hatten uns aber mehr davon versprochen. Wir haben noch nicht einmal ein Hoch auf unsere Kriegsherrn ausgebracht. Unser Leutnant hatte wahrscheinlich noch einen Kater vom Abend vorher
u. war daher zu faul, vor der Kompagnie eine Ansprache zu halten. Am Mittagessen merkte man auch keine Veränderung. Wir hatten die übliche Suppe von Konserven mit wenig Fleisch, während die Andern teilweise Nudelsuppe oder gar Gullasch hatten. Andere Kompagnien hatten auch Bier oder eine kleine Feier. Alles das haben wir unserem Leutnant zu verdanken, der sich nur sehr mangelhaft um die Kompagnie kümmert. Also im großen und ganzen habe ich viel mehr von der Feier von Kaisers Geburtstag erwartet als daraus gemacht worden ist.
Das Leben hier ist sehr einförmig. Wir liegen jetzt mitten in der Stadt im Quartier, es ist eine alte Schule oder das alte Rathaus! Leider ist Strohmangel, so daß wir auf dem blanken(?) Fußboden liegen. Während der Ruhezeit schläft man nun oder man holt sich ein Gehacktes für 1 Mk zum braten, oder man reinigt seine Sachen, da es häufig Appells giebt. Früh um 7 Uhr bekommt jeder einen bis zwei Becher Kaffee; jeder bekommt meistens täglich 1/3 Komißbrot. Nachmittags um 4 Uhr kommt die Feldküche wieder, und da giebts Essen u Kaffee, Erbsenkonservensuppe oder Linsensuppe, Bohnensuppe, Reissuppe meistens mit Rindfleisch. Daß man inzwischen immer was essen muß, ist selbstverständlich, u. daher ist Wurst oder Speck von daheim sehr willkommen. - Wenn wir in den Graben kommen, so verändert sich unsere Lebensweise. Nachmittag um 4 wird angetreten, nachdem wir unser Essen bekommen haben. Natürlich nehmen wir immer alle unsere Sachen mit, weil man ja nicht wissen kann, was passiert. Nun bekommt Jeder etwas zu schleppen, ein großes Brett oder einen Pickel oder ein Bund Stroh, u. dann geht der sogenannte Schliff los, denn wir müssen ungefähr eine Stunde durch den Laufgraben gehen, der gleich hinter der Stadt beginnt. Der ist nun so eng, daß man mit dem Tornister hüben u. drüben hängen bleibt, und außerdem muß man natürlich die Bretter oder das Stroh so tragen, daß es nicht aus dem Graben rauskuckt, weil sonst die Russen gleich mit Artillerie rüberfunken. Das Gewehr wird dabei um den Hals gehängt. Sind wir im Schützengraben angekommen, so wird der Tornister abgehängt u. gleich das aufgepflanzte Seitengewehr auf die Böschung gelegt. Dann werden Horchposten vorgestellt, die in einem kleinen Laufgraben ungefähr 50 m vor dem Schützengraben stehen; von jeder Gruppe (8 Mann) 4 Mann 2 Stunden lang Beobachter im Graben. Während der 2 Stunden Pause versucht man im Unterstand zu schlafen, entweder auf dem Tornister sitzend, oder die ganze Zeit über auf einer Seite liegend. Die Beine sucht man so gut wie möglich mit einer Decke einzuwickeln. Dann u. wann schickt man einen Gruß rüber zu den Russen. Die Russen schießen sehr viel. Zu Kaisers Geburtstag haben sie bei den 82ern u. den 95ern Angriffe versucht, sind aber auf dem halben Wege wieder umgedreht. Manche allerdings auch nicht, denn die sind liegen geblieben. Bis jetzt sind wir immer 48 Stunden in den Graben und 48 Stunden in Ruhe gekommen. Aber es sind jetzt wieder Verschiebungen, und wir werden wohl in eine andere Stellung kommen. Wie es dann mit uns wird, wissen wir natürlich nicht. Wir sind gestern Abend, nachdem wir erst 24 Stunden im Graben waren, abgelöst worden. Heute Abend kommen wir aber wahrscheinlich schon wieder rein. - Die Kameradschaft ist bei uns hier lange nicht so schön wie bei den 233ern, weil die meisten Sonneberger sind. Sehr gut kommt man mit den Elsässern aus. Sie sind gute Kameraden. -
Mutter soll mir bitte Homoeopatie gegen Husten u. verdorbenen Magen u. viel Sacharin für den schwarzen Kaffee schicken. Post haben wir noch nicht bekommen.
Herzliche Grüße Euer Rudi.

 

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