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Brief (Transkript)

Rudolf Emmerich an seine Eltern am 22.01.1915 (3.2011.3532)

 

Rawa 22.1.15.



Nun bin ich schon wieder über 8 Tage in diesem „lausekalten“ Polen. Also bitte Fencheloel und 1 Paar gute Fausthandschuhe, denn die ich von Großmama bekommen habe, sind schon entzwei, - die Stimmung unter den Leuten ist gegen die Freiwilligen nicht besonders. L. aus Suhl ist kurze Zeit in der 12. gewesen und hat nicht gerade den besten Eindruck hinterlassen. Wir liegen zu ungefähr 30 Mann in einem kleinen Hause am Ende von Rawa, das täglich von der russischen „Schweren“ beschossen wird. Augenblicklich bumbern sie auch mal wieder, daß bei uns die Fenster wackeln. Aber alte Krieger stört das nicht im geringsten. Manchmal, namentlich zur Dunkelheit, verirren sich auch Infantriekugeln zu uns. Unser Schützengraben ist 1 ½ klm vor uns auf einer Anhöhe, Die ersten beiden Tage, die ich oben war, war schauderhafter Dreck. Auf dem Mantel saß cmhoch[?] der Dreck, und immerzu mußten wir im Graben hin u. herrennen, wobei man jeden Augenblick Gefahr lief in ein Loch zu treten, wo einem dann das Wasser oben in den Stiefel rein läuft. -
In der ersten Nacht bauten wir uns einen Unterstand. Man gräbt ein Loch in die Erde so lang und so breit wie ein Mann ungefähr und so tief, daß man gebückt drinnen stehen kann. Dann wurde ein gezimmertes Dach, mit Blech beschlagen, vom Quartier raufgeschleppt, das Erdloch mit zugedeckt und mit Erde bedeckt. Fertig ist der Unterstand. Wir hatten nun das Glück, daß bei uns gleich Grundwasser drinnen war, und wir mußten noch Dielen legen. Vor die Tür kommt dann eine Zeltbahn. Allerdings ist es immer ganz dunkel den ganzen Tag. Also: Lichter und eben die Lichtpatronen, wenn Ihr sie bekommt. Wir können natürlich nur Nachts schanzen; bei Tage schießen die Russen auf jede Helmspitze, die sich zeigt. Nachts schießen sie auch dann u. wann, wahrscheinlich vor Angst daß wir einen Angriff machen könnten. Aber gerade unser Graben ist am weitesten vor, u. wir sollen die Russen nur aufhalten, während die Flügel vorgehen sollen. Gestern Abend ist aber ein anderes Regiment in unsere Gräben gekommen, und wir werden wohl auf einen Flügel kommen. - Die Russen schießen sehr gut; es sind Gardetruppen.
Am 1. I. 15 ist neben unserm Unterstand der Feldwebelleutnant Bierbaß aus Schleusingen direct in den Kopf getroffen worden. Hinter unserm Haus liegt er begraben.
Sonst sind die Verhältnisse viel friedlicher als in Belgien. Mit Artillerie schießen die Russen nur nach Rawa rein, wobei meistens Juden getötet werden. Diese wohnen noch meistenteils hier und verkaufen so viel sie noch haben. Aber es giebt fast nichts mehr.
Gehacktes ist das Einzige. Nichts Rauchbares u. Eßbares. Also bitte Shagtabak, Schokolade u.s.w.
Und Zeitungen, denn man weiß gar nicht was los ist. Vorgestern haben sie bei uns einen russischen Flieger runtergeschossen, und sie haben doch fast keine mehr. Von uns surren oft welche rum.
Brot wird bei uns auch etwas spärlicher verteilt. Aber allzugroß ist das Hungerleiden noch nicht. Das Gespräch der Leute dreht sich immer um Frieden oder um die schlechte Post. Manche erwarten noch Packete von October. Ich mache mich auch darauf gefaßt, daß ich lange warten muß. Liebesgaben haben wir auch schon bekommen: Zigarren, Zigaretten, etwas Butter, etwas Käse, ein Stückchen Schokolade und sogar jeder eine halbe Walnuß. Es ist doch großartig, was alles gemacht wird. Bitte auch Nachricht von Ernst.
Rudi.

 

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