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Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an seine Eltern am 13.11.1914 (3.2011.3530)

 

13.11.14.



Seit ich aus Kalisch schrieb, sind wir (d.h. 1. Bat. d. 32.) einer Kavalleriedivision zugeteilt u. ziehen mit derseben immer zickzack hinter der Warthe herum, um dann u. wann mal gegen die Russen vorzustoßen; meistens allerdings finden wir geräumte Stellungen trotz der großen Übermacht der Russen. Nur einmal am 9.11. bei Konin haben sie standgehalten; 500 Gefangene, 6 Maschinengewehre, aber Hauptmann Adams u. etwa 10 Mann todt. Der rote Werner soll schwer verwundet sein. - Seit gestern sitzen wir in Tureck[?], das die Russen auch kampflos geräumt haben, nachdem sie es stark befestigt hatten. -
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sie bisher nur das eine Mal bei Konin etwas standgehalten, was Ihr wohl gehört haben werdet. Unsere Reiter, die eben erst aus Frankreich gekommen sind, stehen den Kosacken wohl noch etwas hilflos gegenüber, denn sie büßen manche größere Patrouille ein; lernen werden sies aber wohl auch noch wie die Kurassiere, die bei der 22. Division sind.
Wie lange unser Sonderauftrag mit seinem Brot- und Postmangel noch dauern wird ist unbekannt. Wir sind alle heilfroh, daß wir mal in der Stadt viel Brot u. nun auch mal die viele Post bekommen haben. In den Packeten befand sich 2x Wurst, die Mignon, Bonbons, Schokolade, Fußlappen, 2x Speck, auch willkommen Lakes[?], die allerdings mangels Transportmöglichkeit sofort gegessen werden. Ihr glaubt aber nicht, wieviel mehr wert hier ein Gaumenkitzel ist als zu Hause. Nicht etwa, daß einem das trockene Brot nicht mehr schmeckte – im Gegenteil, das bleibt immer eine unübertreffliche Delicatesse. Aber es macht einem eine kindische Freude, mal ne elektrische Straßenbahn zu sehen, oder einen Lackes[?] oder gute Schokolade zu essen. Es ist überhaupt interessant, wie all diese kleinen Lüstlein erwachen, als ob man wieder Kind würde, wie sich ja auch keine geistige Regung höher erhebt. Es mag wohl mit an der völligen Zwecklosigkeit jeglichen Denkens jetzt liegen. Man zieht Kilometer über Kilometer hin, her, ohne zu wissen wohin, oder warum vor? oder warum zurück? und jeder immer wiederholte Versuch, sich darüber klar zu werden, scheitert an den Tatsachen, die nachher alles wieder Lügen strafen. Man tut eben alles, was getan werden muß, ohne zu denken, ohne Murren, ohne Willen. Leben kommt nur in Alle, wenn es heißt: „Ran an den Feind!“ Denn das ist der Wunsch, Wille und Gedanke Aller: nieder mit dem Feind, damit wir Frieden bekommen. In die Heimat! in die Heimat! ist die Grundmelodie aller Lieder, aller Reden. Ehrlich gestanden, auch ich wünschte den Frieden. Es hat erst dieses Krieges bedurft, um mich zum Friedensfreund zu machen. Ich war immer (theoretisch wenigstens) mehr für den Kampf, als das productivere, lebensvollere. Dieser Kampf hat mich belehrt. Daß das ganz natürliche Gefühl „drauf u. durch“ Einen im gegebenen Falle doch packt, ist allerdings richtig. Mir scheint aber, als ob man damit instinctiv nur den sicheren Frieden bezweckte, wie hier im Großen, so wohl auch im Kleinen. - Genug! Die Tinte wird alle. - Nun will ich mich dran machen, die Post erst mal richtig durchzulesen und zu frühstücken, da wir, wenn auch alarrnbereit, im Moment Zeit haben. - Auf der Adresse ist jede Ortsangabe überflüssig; und wenn Tante Liese schreibt: Ivangorod, Rußland, so war der Wunsch wohl Natur des Gedankens, mich d. h.. uns Deutsche in der Festung zu sehen. Die liegt aber so hinter Sümpfen, daß die Russen kaum heraus, geschweige denn, wir hinein konnten. Jetzt werden übrigens wohl nur noch Österreicher dort sein. Ernst.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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