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Brief (Transkript)

Paul Rockstroh an seine Ehefrau am 19.03.1917 (3.2011.2334)

 

19.3.17.



Bitte aufheben!
Liebe Grete u. Kinder!

Gestern Abend erhielt ich Briefe vom 15. u. 16. [...]. Hierher gehen die Sachen, wenigstens die Briefe, immer sehr schnell, nur nach Hause dauert es ewig.
Gestern Sonntag machte ich 2 Pakete zurecht u. zw. enthält das eine 2 leere Büchsen u. etwas Pfefferminz (ich erhielt von Reichenbach 3 Stangen), das andere 2 Rollen Cakes u. einen neuen Sandsack, den Ihr jedenfalls gut verwenden könnt. -
Wie es beim Militär zugeht, könnt Ihr aus folgendem Falle ersehen. Wir hatten in unserer Korporalschaft einen 22 jährigen Kameraden, ein Bergmann aus Mansfeld. Er war an der Somme durch einen Steckschuß am Kopf verwundet worden. Die Wunde befand sich in der Schädeldecke über der Stirn. In der letzten Zeit klagte er öfter über Kopfschmerzen u. mußte sich brechen. Am 8.3. meldete er sich deshalb krank, der Stabsarzt schrieb ihn aber gesund. Er mußte deshalb wieder arbeiten. Die Beschwerden wiederholten sich aber u. er ging am 12.3. wieder zum Stabsarzt. Der schrieb ihn aber wieder gesund u. dienstfähig. In der Nacht vom 15.-16. 3 verschlimmerte sich aber sein Zustand. Er brach sich fortwährend u. war dabei so matt, daß er mich bat: „Bruder Paul, deck mich doch mal zu. Ich friere so sehr.“ Er hatte nur noch 45 Pulsschläge die Minute. Früh 6 Uhr ging nun ein Kamerad zu den Sanitätern, die ihn sofort nach dem Revier transportierten. Nachm. wurde er auf Veranlassung des Stabsarztes in das hiesige Lazarett gebracht, das ihn aber sofort einem anderen, 10 km von hier entfernten deutschen Lazarett überwies u. am 17.3. früh ¾ 8 war er tot. Es ist eine Sünde u. Schande, wie mit den Soldaten umgesprungen wird. Hätte der Kamerad von Anfang an Ruhe bekommen, so wäre er jedenfalls zu retten gewesen. Da die Wunde eiterte, war erwiesen, daß die Sache nicht in Ordnung war. Entweder versteht also der Stabsarzt nichts von seinem Fache oder er hat ganz unverantwortlich fahrlässig gehandelt. Ein Menschenleben ist eben nicht mehr wert als ein Händedruck. Und dabei wird uns angekündigt, daß derjenige, der sich krank meldet, vom Arzt aber für dienstfähig befunden wird, bestraft wird.
Heute Nachm. wird der Kamerad nun beerdigt. Unsere Korporalschaft giebt ihm das Geleite u. wird zu diesem Zwecke hingefahren. Gestern Nachm. holten wir Reisig u. Kätzchen. Ein Kamerad von uns band daraus einen Riesenkranz. Ferner zimmerte unser Tischler ein Holzkreuz u. der Maler ist eben dabei, die Schrift darauf anzubringen. Der verstorbene Kamerad hat verg. Weihnachten erst Kriegstrauung gehabt u. war ein blühender, großer, starker Mann.
Hebe nur diesen Brief gut auf. Man wird ihn nach dem Kriege, wenn man seine Meinung erst wieder frei u. öffentlich sagen darf, gut gebrauchen können. -
Gestern Sonntag war wieder ein herrlicher Tag […] Himmel etwas bewölkt.
Sonst befinde ich mich immer noch wohl u. munter, was ich auch von Euch hoffe.
Seid herzlichst gegrüßt
von
Eurem
Papa

 

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