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Brief (Transkript)

Paul Rockstroh an seine Ehefrau am 05.11.1915 (3.2011.2334)

 

Serbien, d. 5.11.15.



Liebes Gretel & Kinder!
Heute Nachm. empfing ich in Paratschin Deinen Brief sowie Karte vom 23.10. Vielen Dank dafür. Auch ich bedaure recht sehr, daß die Packete nicht herankommen. Gerade jetzt war das Essen etwas knapp, da die Bagage mit soviel Schwierigkeiten zu kämpfen hat u. schlecht hinterher kommt. So bekommen wir jetzt täglich nur 1/3 Brot. Immerhin haben wir bisher noch keine Not gelitten, da wir genug Fleisch auftreiben konnten. Der Mutter hatte ich zu Ihrem Geburtstag gratuliert u. wenn die Karte nicht rechtzeitig da war, wird sie wohl inzwischen angekommen sein. Leider scheint Dein Traum nicht in Erfüllung zu gehen, denn die 14 Tage sind nun herum. Immerhin haben die Serben in den letzten Tagen hier große Einbußen erlitten. Es wurden große Massen Gefangene an uns vorüber transportiert u. die Bulgaren sollen nur noch 2 Stunden von uns entfernt stehen. Auf diesem Gebiete wären also die Serben bald erledigt. Im übrigen ist es aber nicht zutreffend, wenn gesagt wird, die Serben wären schlecht. Im Gegenteil, wir haben die Beobachtung gemacht, daß die Leute entgegenkommender sind als in Süd-Ungarn. Sie bieten uns frisch gebackenes Maisbrot an, auch Fleisch u. räumen uns bereitwillig ihre Stuben zum Übernachten ein selbst, wenn sie, wie es verg. Nacht in einem Dorfe der Fall war, mit ihren kleinen Kindern im Freien verbleiben müssen. Ich bin immer noch im Revier, da mein linkes Knie noch etwas dick ist. Wenn ich auch trotzdem laufen muß wie die anderen, habe ich doch den Vorteil, daß ich nicht im Gefecht bin u. jede Nacht ein Dach über dem Kopfe habe.
Heute sind wir durch 2 größere Städte gekommen, erst durch Tschŭsnija[?] u. dann nach Paratschin, wo wir übernachten. Seht mal auf der Karte nach, ihr werdet die Städte finden. Es sind beide ganz schöne Orte. Die Butter hat mir sehr gut geschmeckt, ich habe aber auch nicht gespart, habe sie in 2 Tagen alle gemacht; es war aber nur 1 Stück. Daß es Willy Naumann in Frankreich nicht gefällt, glaube ich gern. Da ist es bei uns doch nicht so gefährlich. Nur die schlimmen Wege! Wer das nicht gesehen hat, kann sich gar kein Bild machen. Wie das nur Mensch, Vieh u. Wagen aushalten können, ist ein Wunder. Man muß sich immer nur fragen, für was eigentlich diese kolossalen Anstrengungen gebracht werden. Etwas Widersinnigeres wie ein derartiger Krieg kann es gar nicht geben. Was für Not u. Elend dadurch über ein Land heraufbeschworen werden, zeigen nicht zuletzt auch die vielen Flüchtlinge, die uns begegnen. Leute mit Ochsenwagen, darauf ihr bischen Hab u. Gut, soviel sie gerade fort kriegen. Und dann die kleinen Kinder. Dabei zeigen aber die Leute kein Murren, sie nehmen vielmehr die Mütze ab, wenn sie an uns vorüber ziehen. Es wäre ein Glück für alle beteiligten Völker, wenn bald Frieden würde. Heute fühlen wir uns wieder mal als Mensch, wohnen sogar in einer ehemaligen Kneipe, die elektrisches Licht aufweist. Ein Genuß, den wir in Serbien überhaupt noch nicht gehabt haben. Auch schöne Kirchen sind hier. Es wäre nur gut, wenn wir längere Zeit hier blieben, aber unseres Bleibens wird nicht lange sein. - Du wirst Dich wundern, weshalb ich statt der heutigen 5 Karten keinen Brief schreibe. Das hat aber seinen Grund darin, daß die mir gesandten Kartenbriefe infolge der Feuchtigkeit sämtlich zugeklebt sind u. deshalb nicht mehr gebrauchsfähig sind.
Nun lebt wohl.
Seid Alle herzlichst gegrüßt von
Eurem Papa.

 

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