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Brief (Transkript)

Johannes Wierich an seine Familie am 07.08.1915 (3.2009.0064)

 

Den 7. Aug. 15.


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Meine Lieben!
Heute will ich Euch einmal ziemlich genau erzählen, wie es hier in unserer Stellung aussieht. Von dem Dorfe Missy gelangt man zu derselben. Wir haben die Aufgabe, die Aisne zu überwachen, also wir müssen achtgeben, daß die Rothosen keinen Versuch machen, um über die Aisne herüberzukommen. Der Fluß ist 30-40m breit und hat an unserer Stelle eine feste eiserne Brücke. In der Mitte ruht die Brücke auf einem Pfeiler. An unserer Seite ist die Brücke gesprengt. Die Öffnung ist wohl 10 m breit. Das Eisengerüst liegt im Wasser. Zur Bewachung der Brücke stellen wir Nachts 2 Mann an die Brücke. Einer steht rechts, der andere links. (Jede Nacht von 11-1 Uhr stehe ich an der linken Seite.) Die 2 Mann bilden einen Doppelposten. Ich habe sie so bezeichnet [Punkt mit Strich]. Nachts stehen noch mehr Doppelposten, 2 auf der rechten und einer auf der linken Seite von der Brücke. Bei den Nummern 1, 4 und 7 sind am Ufer kleine Gräben ausgeworfen, in deren Schutz die Posten am Tage stehen, in jedem Grabenstück 2 Mann. Den Doppelposten 2 und 3 gegenüber liegt der französische Posten. Auf der frz. Seite ist Wiesenland. Wir haben an der ganzen Uferstrecke Wald. So können wir durch den Wald bis an die Posten herangehen, ohne daß die Franzmänner uns sehen. Die Wege zu den Posten und von einem Posten zum andern sind so gekennzeichnet = = = = = = = =. Der Weg von Posten zu Posten geht dicht am Ufer vorbei, er kann nur bei Nacht begangen werden. Die Doppelposten, die nur während der Dunkelheit wachen stehen zum Schutze gegen Sicht hinter einem Baum. Von den Posten gelangt man zur der Besitzung. Sie liegt im Walde an der Straße nach Missy. Das Haus ist so gezeichnet [gestricheltes Viereck]. Am Hause liegt der große Garten, der rings von einer hohen Mauer umgeben ist. In die Mauer nach der Aisne hin, sind Schießscharten eingebrochen, so \'\' \'\' \'\' \'\'. An diese Schießscharten gelangt man durch einen kurzen Laufgraben. Links von diesem Laufgraben sind zwei englische und ein deutsches Grab. Ich habe kleine Kreuze (+) zur Erkennung eingezeichnet. An dieser Stelle der Front sind früher nämlich Engländer gewesen. Im Walde sind noch verlassene englische Schützengräben und darin lieben haufenweise englische Patronen und Dum-Dumgeschosse. Von dem Dache des Hauses kann man auf die Brücke sehen. Deshalb steht der Brückenposten am Tage auf dem Dache. Da stehe ich Morgens von 7-9 und Nachmittags von 3-5. Das ist meine tägliche Arbeit. Um geschützt von unserem Hause zum Hauptschützengraben und von da zum Dorfe zu gelangen, ist ein tiefer Laufgraben angelegt. Er geht unter der Straße nach Missy her und läuft zickzackförmig bis zum Dorfe. Das Dorf liegt dicht hinter dem Hauptgraben, sodaß die Leute, die in diesem Wache halten in den Kellern der Häuser das Dorfes wohnen. (Links vom Wege nach Missy liegt eine halbzerfallene Scheune.) Der Hauptschützengraben geht durch die hinter den Häusern liegenden Obstgärten.
Hinter dem Posten 1, am Ende des Fußweges durch den Wald, liegt eine Quelle, die sich in ein großes Bassin ergießt. Dieses bildet unsere Badeanstalt. An der Quelle haben wir unser Trinkwasser.
So also sieht es hier aus.
Heute Morgen ist hier zum erstenmale geschossen worden. Unser General, der Prinz Heinrich 24. von Preußen, war heute Mittag hier. Wie der sah, daß die Franzmänner im Graben kochten (es stieg Rauch aus dem Graben auf) nahm er das erste und beste Gewehr und schoß 5 Kugeln zu den Rothosen hinüber, denen dabei der Dreck in ihre gute Suppe gespritzt sein wird.
So weit für heute.
Diesen Morgen empfing ich die Paketchen 1 und 2 mit Gelee u. Schinken. Gelee ist mir stets willkommen, doch dachte ich, heute einmal Butter zu bekommen, hoffentlich habt Ihr sie nicht vergessen.
Es grüßt herzlich
Johann
Diese Zeichen [Strich mit Bogen 3x] bezeichnen Wald. Wo solche Zeichen nicht sind, ist Wiese oder freies Feld.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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