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Brief (Transkript)

Johannes Wierich an seine Familie am 06.06.1915 (3.2009.0064)

 

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Sonntag, den 6.6.15.



Liebe Eltern und Geschwister!
Ich war hocherfreut gestern Abend etwas von Euch zu hören, als ich den Brief vom 28. Mai erhielt, der noch an meine frühere Adresse gerichtet war. Die Zeitung erscheint regelmäßig. In Zeit von 2 Tagen ist sie hier. Wenn das Paket mit dem Unterhemd noch nicht angelangt ist, wird es wohl verschollen sein. Ich glaube auch, daß es zu schwer war. Wir dürfen ja nur Pakete bis zu ½ Pfd. Gewicht schicken. Außerdem werden alle Pakete von der Post geöffnet, um zu verhindern, daß Soldaten Beutestücke nach Hause schicken. Ich denke, daß es bald Zeit wird, daß Ihr mir das Gebetbuch schickt. Es ist so wichtig wie auch die übrigen Sachen. Denn hier kann man sich nur helfen und ist nur zu helfen durch Beten. Was könnte man auch anders machen, wenn die furchtbaren Granatsplitter heransausen und jeden Augenblick leicht oder schwer treffen können. Das einzige Schutzmittel dagegen ist Beten. Wie sehr vermißt man Sonntags die hl. Messe. Hoffentlich kann ich nächsten Sonntag in Avion eine hören. Christian könnte Sonntags zweimal zur Messer gehen und davon eine für mich hören und fleißig beten. Ich bin froh, einen Rosenkranz mitgenommen zu haben. Vorgestern sah ich, wie ein Soldat den Rosenkranz neben seiner Schießscharte hängen hatte, um ihn stets wie sein Gewehr zur Hand zu haben. Gott wird im Übrigen
[…] halten. Ich will das sagen, was in den ersten Tagen hier ein tüchtiger, braver Unteroffizier zu mir sagte. Er war von Anfang an im Felde und hatte noch nichts mitbekommen. Er sagte: „Gott hat mich bis hierhin beschützt. Er wird mich wieder zu den Meinen zurückführen. Das glaube ich fest.“ Und so glaube ich auch.
Ja, den Krieg kann man sich nicht vorstellen, wenn man nicht selbst dabei war. Der Krieg ist etwas so Furchtbares und Schreckliches, daß man es nicht begreift, wie ein Mensch die Anstrengungen, Entbehrungen und Ängste ertragen kann. Im allgemeinen ist das Leben erträglich. Jedoch kommen Stunden, die einem wie eine Ewigkeit vorkommen, wenn man im Granatfeuer in einem Loch tief in der Erde Schutz suchen muß.
Das Leben von einem Mittag bis zum andern ist etwa folgendes für mich. Für die anderen ist es gleichartig nur mit geringen Abweichungen. Gegen 12 Uhr stehe ich auf. Ankleiden ist unbekannt, da jeder in voller Kleidung schläft. Krätzchen auf dem Kopf, Stiefel an den Füßen, Mantel angezogen. Das Lager auf bloßer Erde hat als Unterlage ein paar alte Decken. Als Kopfkissen dienen ein paar Säcke. Mit einer Wolldecke deckt man sich zu. Diese wirft man Morgens ab, und fertig ist man. Waschen gibt\'s auch nicht, weil kein Wasser da ist. So waschen wir uns 8 Tage lang nicht mehr. Anstelle des Waschens, zieht man in der warmen Mittagssonne sein Hemd aus und säubert es von Läusen. Dann frühstücke ich. Zur Hauptsache setzt sich das Frühstück zusammen aus Brot und Wasser; Kaffee gibt\'s nicht. Dazu hat man etwas Butter oder Schmalz, ein Stückchen Käse, Speck oder Fleischwurst. Vor sein Erdloch setzt man sich in den schönen Sonnenschein und ißt vergnügt und guter Dinge, falls die feindliche Artillerie ruhig ist. Diese feuert am Tage zu gewissen Zeiten ½ Stunde manchmal 1 Stunde lang, manchmal noch länger. Das sind dann furchtbare Stunden. Nach dem köstlichen Frühstückchen lese ich die Zeitung vom vorigen Abend und dann schreibe ich Euch. Sonst habe ich von hier aus noch niemandem geschrieben. Danach lege ich mich hin, lese etwas und schlafe dabei ein. Um 5 oder 6 Uhr erhebe ich mich wieder, denn vom 7-11 Uhr ist meine Zeit zum Wache stehen. Nach 2 Stunden, von 1-3 Uhr stehe ich wieder. Um 4 oder 5 Uhr legt man sich hin und schläft bis Mittag. Nun kommt noch allerhand dazwischen. Am Schützengraben muß ausgebessert, geflickt neu gemacht werden, was die Franzmänner tagsüber zerschossen haben.
Das Schlimmste ist Alarm, wenn wir einen Angriff erwarten. Wir Ihr in der Zeitung lest, suchen die Franzmänner hier an der Lorettohöhe durchzubrechen, was ja nie gelingt. An unserer Stelle haben sie noch keinen Angriff gemacht. Wenn ein Angriff erwartet wird, muß jeder angestrengt beobachten, ob die Kerle kommen. Dann würden sie von unserem Feuer und den Maschinengewehren niedergemacht werden. Über unsere Drahtverhaue zu gelangen ist unmöglich. Nächstens Weiteres. Johann

 

 



Ansicht des Briefes

 

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