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Brief (Transkript)

Johannes Wierich an seine Familie am 30.05.1915 (3.2009.0064)

 

Sonntag, den 30.5.15.


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Meine Lieben!
Nun gibt\'s auch für mich einmal eine Zeit lang überhaupt keinen Sonntag mehr. Denn Sonntags schweigen weder die Kanonen noch hört das Gewehrgeknatter auf. Im Dorfe, das stets stark beschossen wird, wie ich schon erzählte, steht die Kirche, glaube ich, noch wohlbehalten. Wenn das Granatfeuer ernach ruhiger wird, will ich einmal hingehen. Ins Dorf geht man in einem sogenannten Laufgraben, der 2 m tief ist und vollkommen schützt. Der gestrige Tag war ruhig; nur machten Flieger die Gegend unsicher. 8-10 Stück flogen über unsere Stellung. Sie wurden zwar heftig beschossen, jedoch ohne Erfolg. Bis 10 Uhr habe ich geschlafen; um 3 Uhr sind wir zurückgekommen vom Schützengrabenauswerfen das man als Schanzen bezeichnet. Wie an der ganzen Front 3-4 Gräben hintereinander liegen, werden solche auch hier ausgeworfen. Wenn z. B. der vorderste Graben genommen wird ziehen wir uns durch Laufgräben in den zweiten zurück. Eine Schützengrabenstellung sieht so aus:
[Skizze]
Die Querstriche zwischen den einzelnen Gräben sind Laufgräben, die aus einem Schützengraben in den andern führen. Zu den nächtlichen Schanzarbeiten gehen wir im Mantel mit umgehängtem Gewehr und Spaten oder Kreuzhacke. Nahe der Stellung steigen beständig rote, gelbe oder grüne Leuchtkugeln auf. Sie sind wie Raketen und erleuchten Alles im Umkreise tageshell. Dazu leuchten ab und zu die feindlichen Scheinwerfer auf. In der Nacht vermindert sich das Kampfgetöse kaum; es geht immer weiter, bald lauter, bald weniger stark. Es herrscht Nachts dort ekelhafter Leichengeruch. Vor etwa 8 Tagen sind dort die Schwarzen herausgetrieben worden. Deren Leichen liegen da unbeerdigt, weil am Tage keiner hingehen kann, ohne von den Franzmännern gesehen zu werden. Nachts ist die Beerdigungsarbeit, weil man zu wenig sehen kann, zu unangenehm. Das Wetter ist schön. Hoffentlich ändert es sich nicht nach der schlechten Seite; dann wird\'s etwas unangenehm.
Euer Johann

 

 



Ansicht des Briefes

 

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