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Brief (Transkript)

Friedrich Spemann an seine Mutter am 31.10.1918 (3.2002.9143)

 

M. 31.10.18.



Mein liebes Mutterle!
Gestern bekam ich also Deinen Geldbrief ausgehändigt u. ich dank Dir vielmals dafür, auch für die lieben Zeilen, die drinnen lagen. Euer Schluß war richtig u. von meiner Ansichtspostkarte her werdet Ihr Euch ja denken können, wo ich liege.
Ich soll also ausführlicher schreiben? Ja, das ist leicht gesagt, Mummi. Es war eine derartige Fülle von Ereignissen oft in Stunden, daß wir meist schon am nächsten Tag nicht mehr wußten, was am Tag vorher los war, wenn wir es melden sollten. Die letzte Woche bis zum 20. war soweit ruhig, d. h. es waren nur Teilangriffe vorn, in die ich auf Beobachtung allerdings mit hineingezogen wurde. Die Feuerstellung war dagegen sehr gut, in einem Urwaldstückchen drin, durch das man kaum durch konnte. Der Wald war so dicht, daß unsere Leut 20 Schritt vom Waldrand getrost große Lagerfeuer anzünden konnten, an denen wir endlich unser naßes Sach trocknen u. uns selbst wärmen konnten.
Da war dann auch schon wieder die Stimmung da. Voll Wärme u. Behagen saß alles ums Feuer, rauchte, schwatzte, futterte, sang u. freute sich seines Lebens. Das war die einzige Stellung in den 3 Wochen, aus der wir ohne Verluste abziehen konnten. Unser Zelt war allmählich auch so praktisch eingerichtet, daß es auch da behaglich war zu sitzen u. daß sich jeder wohl u. zufrieden fühlte. Am 19. wurde ein Zug, dabei Lt. Wiedmann u. Hans, am 20. der andere Zug, dabei Lt. Rieber u. ich abgelöst. Wir hatten insofern Glück, als am 20. Regenwetter war, so daß keine Kampftätigkeit größeren Stils war u. wir abends schon um 6 abrücken konnten, ehe das Nachtstörungsfeuer von 10 ab einsetzte. Es war etwas wehmütig, nun alle die hübschen Ortschaften, Bucanzy u. s. w. in Trümmern zu sehen, die man vorher als tiefe Etappe betrachtet hat u. auch genossen hatte. Nun mußte man im Trab u. Galopp durchfahren, um diese schwierigen Brennpunkte des fdl. Fernfeuers rasch zu überwinden. Unterwegs kam dann schon der Verladebefehl für den nächsten Mittag, ich führte meine Geschütze auf
2.
die Bahn u. ging mit den Pferden in einen benachbarten Ort ins Quartier. Da war Hans auch schon, ich bekam gebratene Leber u. Kartoffel vorgesetzt, trocknete mich am Ofen, u. wir waren dann alle äußerst ausgelassener Stimmung bei dem köstlichen Gefühl „heraus“ zu sein. Hans und ich führten im Hemd (zum ersten Mal seit 3 Wochen!) noch einen Ring Kampf auf, bis wir Lachkrämpfe bekamen u. auf unser Lager sanken, um noch ein paar Stund zu schlafen. Am 21. wurde verladen u. dann ging die Fahrt mittags um 3 los. Davon schrieb ich Dir ja schon, daß das sehr schön war. Übermütig waren wir natürlich auch, da bis dorthinaus, vollends, als es erst auf deutschen Boden ging. Der Hinmarsch hier war ja auch wunderbar. Lehmbezogen, dreckig, auf die Geschütze Öfen aufgebunden oder Strohballen aufgeladen – kurz wie eine Zigeunerbande kamen wir daher. Die Kanoniere hatten sich noch nicht waschen können u. waren noch rabenschwarz – es sah ganz gefährlich aus. Hier liegen die Leute und Pferde in der Kaserne, die Offiziere im Bürgerquartier. - Ja, das war auch noch so eine schöne Wirtschaft, Quartier suchen! 3 Stund lang sind wir noch rumgelaufen, von Kindern umschwärmt, ziemlich schimpfend. Viele Leute sind der Flieger wegen ausgezogen, bei bei manchen ist Grippe, gelegen kam man natürlich keinem. Ich hatte zuletzt so Routine, daß die beiden letzten Hausfrauen fragten, am liebsten war es ihnen ja, wenn ich selber in das Quartier käme. Da ich aber für andere vorbereiten mußte, ging das nicht wohl an. - Gestern abend war Alarm, ich mußte aber nicht mit. Heut früh kamen sie wieder zurück. Es ist eine dunkle Sache, wo sie waren, es hat scheints eine Schweinerei gegeben, die aber ohne Blutvergießen ablief – bei einer Division, die aus dem Osten kam.
Gestern gingen meine Schulbücher ab, ich hab keinen Platz mehr dafür, wir müssen das Gepäck möglichst einschränken, nur noch Koffer u. Tornister oder Packtasche. Auch Papas Reitstiefel gingen weg. Hoffentlich kommen sie gut an.
Jetzt gut Nacht, Mutterle, schlaf gut!
Vom tr. Bub.

 

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