Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Friedrich Spemann an seine Familie am 07.07 1915 (3.2002.9143)

 

Ludwigsburg, 7.VII.1915 ¾ 9 Uhr



Liebe Eltern!
Heut ist zum ersten Mal Ausgang. Ich bin aber da geblieben, um meine Uniform zu waschen und alle Eure Briefe zu beantworten. Ich will sie von vorn anfangen, sonst vergesse ich ja doch die Hälfte. Also das Paket ist angekommen. Vielen, vielen Dank. Das hab ich wohl schon einmal geschrieben. Der Brief, der vorher kommen sollte ist einen ganzen Tag später angekommen. Weißt Du, Mutterle, schreiben tu ich so oft ich kann. Denn es ist mir doch die liebste Beschäftigung so in Gedanken bei Euch allen zu sein. - Der Dienst ist heut sehr anstrengend gewesen. Ich halte es offengestanden nicht für richtig zu sagen der bei der Artill. sei leichter als der Infanteriedienst. Vor allem was körperliche Arbeit anbetrifft. Denn mit zwei Mann so eine Geschützlafette zu heben und zu fünft ein Geschütz in Stellung zu bringen bei der Hitze, das schlaucht einen schon.
Mein Lebenslauf ist im ganzen folgender: Um 4 Uhr aufstehen, waschen und putzen. Alle paar Tage den Gang putzen, Spucknäpfe leeren und reinigen, und was des schönen mehr ist.
Um 6.30 Apell. Von 7 bis 8 Fußexerzieren oder Dienstvortrag, dann eine kleine Pause, die aber gewöhnlich gänzlich verschwindet, dann bis ¾ 11 Turnen und Geschütz exerzieren. Manchmal auch Dienstvortrag. Dann macht man sich wieder „sauber“, d. h. putzt Stiefel und holt in seiner Aluminiumschüssel Essen. Gewöhnlich setz ich mich damit in die Kantine und trinke Limonade dazu. Es gibt Suppe und Fleisch und Gemüse. Es ist immer so reichlich, daß ich nicht fertig werde damit und mir bloß eins von beidem hole, oder auch abgebe an die Kinder, die mit Töpfen vor der Kaserne darauf warten.
Ich gehe damit in die Kantine, weil es mir schon ein paar mal passiert ist, daß einen ein Unteroffizier wegholt zum Geschütz putzen oder so was. Um 2 Uhr ist Appell, dann wieder Dienst mit einen kleinen Pause bis zum Abendapell um 6 Uhr. Abends gibt es Kaffee und etwas auf das Brot. Brot bekommen wir doppelt so viel als zu Haus. Der Käse oder die Wurst sind auch ausgezeichnet. - Mein Batterieführer heißt Benger, Oberleutnt. Mein Leutnant Eischer[?], im Civil Ingenieur bei Krupp. Streng aber fein. Außerdem ist noch
II
ein Leutnant Niemann, u. [...] in der Batterie. Der Abteilungsführer heißt Maj. Kauffmann. Die Freiwilligen sind fast nur Einjährige, Aber fast keine Stuttgarter. In meiner Batterie sind 24 Kriegsfr., darunter ein 31jähriger Oberlehrer aus Heilbronn, dem die Sache sehr schwer fällt. Er sagte neulich: Ich hab jetzt ein neues Abend- und Morgengebet: daß wir keine russischen Geschütze mehr erobern. Wir müssen nämlich an denen auf und abprotzen üben und die Dinger sind elend schwer. - Die Trikothemden sind das einzig richtige. Wir kommen nämlich allemal schweißgebadet vom Dienst und haben dann in einem Gang Vortrag. Ohne die wär ich glaub ich schon erkältet. Denn zum Umziehen ist keine Zeit. - Also jetzt mit den Stiefeln: Ich darf im Dienst gar nichts eigenes tragen und gelbe Stiefel sind mir auch in Feldgrau nicht erlaubt. Dagegen darf ich zu Feldgrau auch schwarze Stiefel und Gamaschen tragen, wenn ich ausgehe. Die Ausrüstung ist so gut, daß ich es auch nicht unbedingt brauche. Einen solchen Kameraden, daß ich mit ihm zusammen wohnen möchte hab ich noch nicht. Ich will mich in den nächsten Tagen nach Wohnung umsehen. - Mit meinen Stiefeln geht es jetzt ich hab ein Paar Filzsohlen reingesteckt und jetzt geht es. Der Brief von Uli ist rührend. Das nächste bekommt er. - Mit meiner Uniform hab ich halt Pech gehabt. Die anderen haben alle ausgezeichnete Röcke bekommen, nur ich nicht. Ich weiß noch nicht, wie es geht. - Heut haben wir auch an den neuen Haubitzen geübt. Als Richtkanonier, mit dem Fernrohr das ist kolossal interessant denk Dir gestern bekam ich plötzlich Befehl reiten zu lernen, aber keinen Stalldienst. Fein, gelt? Ich hab heut die erste Stunde gehabt. Ein feiner Fuchs. Er hat ein paar mal gehörig gebockt, aber ich hab ihn ganz gut halten können
Ich glaub ich lern es ganz schnell. Gestern war Onkel Fritz da. Da hab ich raus gedurft. Er hat mich in den Ratskeller geführt und gefüttert
Er war sehr nett. Aber da hab ich dann auch erfahren wie es mit dem Reiten kam. Der Onkel Carl hat an meinen Oberleutnant geschrieben und das ist ein Bekannter von ihm. Es wär mir lieber, wenn ich es durch gute Leistung erreicht hätt, aber ich freu mich natürlich auch so darüber.
III
Eigentlich wollt ich noch an Margret schreiben, aber ich geh lieber in den Klappe. Es war heut den ganzen Tag körperliche Arbeit, morgen ist dafür fast nur Instruktion. Am Sonntag will Onkel Karl kommen, hoffentlich darf ich dann raus.
Also jetzt Gut Nacht! Alle mit einander.
Mit vielen, vielen Grüßen Euer Fritz.

 

top