Brief (Transkript)

Heinrich Begemann an seine Eltern am 1.1.1871 (3.2013.3340.22)

 

Liebe Eltern !

Zwei Tage liegen wir hier schon in Blois und daher
darf ich wohl nicht länger mit dem Schreiben warten, obwol
ich vorhatte erst zu schreiben, wenn wir mit dem
Regiment zusammen getroffen wären. In 2 Tage[=]
märschen sind wir von Orleans hier hergekommen!
Immer mehr merkten wir, daß wir dem Kriegs[=]
schauplatze näher kommen; zerschossene Häuser, ver[=]
brannte Dörfer, todte Pferde überall zu Seiten
des Weges, Rinds= u.[nd] Schaafsköpfe auf
Hecken aufgepflanzt, gar keine Lebensmittel
mehr u.s.w. Von 20 – 30 Dec.[ember] v.[origen] J.[ahres] übernachteten
wir im Dörfchen Travers bei Beaugeney (im Südosten von Orleans) ich mit
26 andern in einem verlassenen Hause. Ein
Bett, das noch da war, Stühle u. Schränke hieben
wir zusammen u. machten daraus ein Feuer.
Zum 1. Male mußten wir alle kochen. Wir
empfingen präparirtes (haltbar gemachtes) Fleisch in Blechbüchsen,
Reiß, Salz, Kaffe u. machten eine ordentliche
Suppe.
Hier in Blois bin ich wieder in einem verlasse=
nen Haus, 11 Mann in einem Zimmer. Außerdem
liegt schon Artillerie u. andere Infanterie
darin. Dies ist ein prächtiges Haus, nicht ganz
so wie das Schloß, in das wir in Joigny hin=
eingeriethen. Alle Möbeln sind noch darin
und wurden von uns nach Belieben benutzt,
nur nichts zu Essen u. zu Trinken, das ist sehr faul.
Die Verpflegung ist nämlich ziemlich mangel=
haft. Wir mußten gestern 3 mal antreten, um
etwas zu bekommen, erhielten dann aber ge[=]

nug, mit 7 Mann einen ganzen halben Hammel.
Doch das Kochen geht noch nicht recht. Heute Morgen
ist Geß u. mir der Braten auch wieder verbrannt,
worüber wir recht traurig waren. Aber der Reis,
den wir uns gemacht hatten, war sehr gut; dazu
hatten wir ein sehr tüchtigen Wein aufgegabelt.

Mittwoch, d. 4. Januar.
Bei Vendôme
(westlich von Orleans)

Soweit war ich mit meinem Brief am Neujahrstage
gekommen. Inzwischen sind wir nun wirklich am Ziele
angelangt. Ich habe auch schon gestern die Karte geschrie=
ben, bin sie aber nicht los geworden u. will daher
nur gleich den Brief daran schließen. Am 2. Jan[uar] mach=
ten wir 32 Kilometer bis Vendôme, und wurden in einem
kleinen Dorfe, ich mit Geß, Duncker, Vischer
in einem schon von 6 Officieren u. 6 Burschen (waffenlose Diener) be=
setzten Hause. Wir fanden noch Platz in einer klei=
nen Küche. Doch wir vergaßen bald unsere schlechte La=
ge, als Blendermann in unser Loch eintrat. Er
war auf die Nachricht, daß der Ersatz gekom=
men sei, aus dem benachbarten Dorfe herübergelau=
fen, hatte schon alle Quartiere durchsucht und war
überglücklich, als er uns endlich fand. Bald kamen
auch 2 andere unserer Freunde. Ein 3. mußte uns be=
gegnet sein. Er war nach Blois gefahren, da ihm eine
ungefährliche Wunde beigebracht war. Wir
verlebten einen vergnügten Abend, obwohl
wir nichts zu beißen und nur schlechten Wein zu
trinken hatten. Gestern sind wir dann,
in die Compagnien vertheilt. Der Feind ist hier
in unmittelbarer Nähe, scheint aber gestern zu=

rückgezogen zu haben, da heute Morgen das Alarm=
quartier in ein Cantonnementsquartier (= Marsch-/Feldquartier) umge=
wandelt ist. Im Alarmquartier darf nur Helm und
Tornister abgelegt werden, alles Andere muß
man auch während der Nacht umbehalten. Im
Cantonnementsquartieren kann mans machen,
wie man will.
Ich freue mich unendlich, daß wir unser Regi=
mente gefunden haben, nicht allein, weil hier bes=
ser für uns gesorgt wird, weil wir nicht mehr
täglich so große Märsche zu machen haben, sondern

Montoire (westlich von Vendôme). Sonnabend. 7.1.71.

Zum 3. Male setze ich mich jetzt an diesen Brief.
Ich bin bei Vendôme wieder gestört, dadurch, daß
ich auf Vorposten mußte. Ihr glaubt es gewiß
nicht, daß es so viel Mühe kostet, einen Brief fer=
tig zu bringen. Aber man hat sehr wenig Zeit und
Gelegenheit zum Schreiben. Ihr werdet Euch daher
auch, hoffe ich, umso weniger Sorge machen,
wenn man längere Zeit ein Brief von mir
ausbleibt.
Am 4. mußte unser Bataillon mit Vorposten
ziehen. Ich hatte auch sofort das Glück, Posten stehen
zu müssen. Unsere Feldwache lagerte im Freien u.
so hatte ich nicht bloß meine Stunden, sondern
die ganze Nacht unter freiem Himmel zuzu=
bringen. Doch ein Biwouak (Biwak) ist selbst bei großer
Kälte nicht so schlimm, als man sich denkt. Vom
5. – 6. Jan. lagen [wir] als Soutien (Rückhalt) in einem Dorfe na=
türlich im Alarmquartiere. Am 6. wurden

wir schon früh durch Schüsse geweckt. Wir koch=
ten schnell noch Kaffe, erhielten auch gleich noch
die Ordre (Befehl) zum Antreten, rückten jedoch erst
um 10 Uhr ab. Ins Feuer kamen wir aber
nicht, obwohl es auf der ganze Linie tüchtig her=
ging, ja unsere Artillerie u. auch unser
Füselierbattaillon (leichte Infanterie) mit eingriff. Wir blieben
in der Reserve stehen. Um 5 Uhr Abends, als
das Donnern allmählich aufhörte, bra verließen
wir unsere Stellung und marschierten hier=
her, wo wir um 10 Uhr eintrafen. Der Feind
war schon von anderen eben vorher herausge=
jagt. Die Stadt lag ganz voll, da, ich glaube,
das ganze 10. Corps hier zusammen war.
Das war heute Morgen ein Leben, als alle
diese Truppen von allen Waffengattun=
gen abrückten. Wir machten jedoch schon vor
den Thoren halt. Der Feind war überall
zurückgegangen, so daß nur unsere Cavalle=
rie wieder Arbeit hatte mit Recognoscie=
rungen (Aufklärungen). Um 11 erhielten wir Fleisch. Es
wurde dort draußen im Regen und im
Dreck abgekocht. Um 3 Uhr waren wir wieder
in die Stadt zurückgekehrt. Was wir
jetzt sollen, ob wir noch einen Tag bleiben
oder nicht, davon habe ich gar keine Ahnung.
Hoffentlich erhalte ich jetzt recht bald einen
Brief von Euch, theure Eltern. Ich kann die
Zeit nicht abwarten. Gebe Gott, daß Ihr noch
l alle gesund seid. Die herzlichsten Grüße
an Alle
von Eurem
Heinrich.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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