Brief (Transkript)

Heinrich Begemann an seine Eltern am 20.12.1870 (3.2013.3340.18)

 

Liebe Eltern !

Vier Marschtage haben wir hinter uns, liebe Eltern. Wie
viel haben wir darin erlebt u.[nd] wie viel hätte ich Euch
zu schreiben oder auch nur mir aufzuschreiben. Aber
es [ist] mir unmöglich, nach einem aufregenden Mar=
sche – denn er ist es wirklich – noch viel sich mit der Feder
zu beschäftigen. Man sucht so schnell als möglich
das Bett oder das Stroh, je nachdem, sobald man nur
etwas im Leibe hat.
Weihnachten steht nun schon vor der Thür und dazu
Dein Geburtstag, theuerster Vater. Ich hätte schon viel
dazu und darüber zu schreiben. Aber ich will Euch, innigst
geliebte Eltern und Geschwister, in kurzen Worten
meine Wünsche darbringen, um desto länger
bei meinen Erlebnissen verweilen zu können.
Ich wünsche und hoffe, daß Ihr alle miteinander
das Weihnachtsfest in bester Gesundheit feiert, in
froher Stimmung das Freudenfest begeht. Wenn ich
nun nicht bei Euch bin und das Euch einerseits
wehmüthig macht, wenn Ihr auf die Gefahr hinblickt,
in der ich, wie Ihr Euch ja nicht verheimlichen könnt,
stets nun schwebe, so habe ich die feste Hoffnung, daß gera=
de in diesen Tagen Euch das stolze Bewußtsein, daß
auch Ihr nun durch Gottes Gnade einen Sohn unter
den Kämpfern fürs Vaterland habt, immer mehr
erhebt. An den Geschenken kann ich nun keinen
theilhaben, weder schenken noch beschenkt werden.
Umso mehr werde ich nun aber in den heilgen
Tagen in Gedanken mit Euch vereint sein,

Möge der liebe Gott geben, daß später das Versäum=
te wieder gut gemacht werden kann. Nun ferner,
theuerster Vater, meine herzlichste Gratulation
zu Deinem Geburtstage. Möge Gott uns Dich
noch lange, lange erhalten, der Du für uns, Deine
Kinder, so nöthig bist. In Sonderheit fühle ich mich
hier noch veranlaßt, Dir für alles Gute, was ich vor
Allen von Dir empfangen habe, meinen Dank
auszusprechen. O könnte ich es doch jemals wie=
der gut machen. Besonders an Deinem Ge=
burtstage werde ich Gott darum bitten.
Ihr Andern alle, liebe Brüder und liebste Henni,
freut Euch des schönen Festes, von dem ich wohl
nicht viel gewahr werde. Auch Dir, liebe
Tante, meine besten Wünsche.
Sonnabend um 5 Uhr mußten wir schon antre=
ten, nach Troyes (zwischen Nancy und Paris) marschieren und dort bis 9 ½ he=
rum stehen. Dann marschierten wir ab. Vor
den Thoren hieß es zum ersten Male: Bataillon
soll chargiren (Gewehr laden), mit scharfen Patronen geladen,
was doch einen eigenthümlichen Eindruck
auf mich machte. Wir sollten bloß auf dem
Marsche jederzeit zum Gefecht fertig sein,
weil man die Franctireurs (französische Partisanen) stets erwar=
ten kann. Wir kamen – ich muß mich kurz
fassen – bis Estissac (westlich von Troyes). Hier kam ich mit
3 Kameraden zu einem Tagelöhner ins
Quartier. Das war sehr öde, eine Stube, kein
Wein, kein Bett – „nichts“ sagten immer die Leute

Ich schlug dem Einjähr.[igen] (Einjährig-Freiwilligen) (Gebhardt) der dabei war
u. sehr gut französisch spricht vor, zum Maire (Bürgermeister) zu
gehen, um uns ein anderes Quartier zu verschaf=
fen. Er war sehr freundlich und ging sofort
darauf ein. Wir beide bekamen das beste Quar=
tier im Dorfe, bei einem Notar. Ein Diner von
5 Gängen mit dem besten Wein. Sonntag brachen
wir um 8 Uhr auf und kamen bis Villeneufv[e]-
l´Archeveque (westlich von Troyes). Wir 56er mußten noch 20 Min[uten] weiter
und kamen im Dorf Molino[ns] in Quartiere, ich mit
5 Recruten bei einem armen Bauer. Doch die
Leute geben, was sie haben. Sie sind ebenso
gastfreundlich, wie unsere deutschen Bauern.
Sie nehmen es einem übel, wenn man nicht or=
dentlich ißt. Hier wurden wir um 9 Uhr, als
schon alle zu Bett lagen, plötzlich allarmirt.
Doch es war nichts los, der Lieutenant wollte
uns blos üben. Gestern haben wir uns plötzlich
unsere Route nach Orleans verlassen. Wir sollten
gestern bis Sens marschieren. Doch gestern morgen
ist plötzlich ein anderer Marschbefehl gekommen.
Wir 56er mußter nach Villeneufv[e] zurück, ohne daß
wir wußten, wozu? Wir marschirten bergauf, berg=
ab, was uns furchtbar anstrengte. Oberst Freiherr
v. Lyecker, der sonst immer im Wagen fuhr, ritt und
führte jetzt selbst das Kommando. 2 mal mußten
wir ein Rendez-vous (Marsch-Halt) machen, weil die Leute zu müde
wurden

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top