Brief (Transkript)

Heinrich Begemann an seine Eltern am 16.12.1870 (3.2013.3340.17)

 

Theure Eltern !

Ich bin so glücklich, mein Versprechen, daß ich Euch heute
morgen per Corresp[ondenz]carte, die Ihr mit No 2 numeriren
wollt, zu halten und habe sogar noch Dinte u[nd] Feder
von meinem Wirt erhalten. Ich will fortfahren,
wo ich stehen geblieben.
In Toul (westlich von Nancy) konnten wir die Festungswerke nicht sehn
sie lagen ein wenig von der Stadt entfernt. Ein Loch in
der Mauer eines Hauses zeigte uns die Spuren des Krie=
ges, sonst aber gar nichts. Montag den 13. Abends halb 8
Uhr kamen wir nach Bar le Duc (zwischen Nancy und Reims),
wo wir unser Essen diesmal ganz gut,
Reissuppe mit Speck einnahmen.
Auch gabs hier mal wieder einen Schoppen Bier.
An allen Ecken des Bahnhofs waren Zelte aufgeschlagen
mit Getränken (deutsche Anschläge u. Inschriften) von Leu=
ten, die Geschäfte machen wollten bei den Durchzügen.
Um halb 10 mußten wir wieder einsteigen zur Wei=
terfahrt, worüber wir uns sehr wunderten, da wir
des Nachts nicht mehr fahren sollten. Wir fuhren
auch nur bis Blesme (östlich von Vitry-le-François),
wo sich die Bahn nach Süden
von der Bahn nach Paris abzweigt. Hier hatten
wir Löhnungsappell: dabei wurde uns eröffnet,
daß wir sofort mit Sack u. Pack aussteigen
mußten, um anders rangirt (geordnet) zu werden. Wir
mußten jetzt Sectionsweise (zugweise) einsteigen, um
jeden Augenblick zum Gefecht fertig sein bei
einem etwaigen Überfall, der zu befürchten
war. Ich verlor dabei meine angenehme Reise=
gesellschaft. Die Patronen mußten gelöst werden
Korn u. Visirkappen, Mündungsdeckel vom Gewehr
ab.

(Es geht schneller). Wir mußten auch bis 1 Uhr in Blesme
bleiben, in unserm Wagen warten, da Schienen auf[=]
gerissen und Brücken in der Nacht gesprengt
waren, die erst wiederhergestellt werden
mußten. Doch wir kamen ganz ruhig, ohne
Franctireurs (französische Partisanen) zu spüren, nach Chumont. Hier
warteten wir lange auf das Signal des Aus=
steigens. Endlich kamen einige Cameraden
an mein Coupe (Abteil) u. erzählten, sie wären schon
in der Stadt gewesen, und niemand wolle ihnen
etwas verkaufen. „Soll schon kommen“ sag=
ten. Wir stiegen aus, gürteten unser Sei=
tengewehr um, andere luden die Flinten
und so gingen wir in die Stadt. Bald be=
kamen wir Brod u. Käse u. Wein freilich
für theures Geld. Um 10 Uhr wurde endlich
auch noch vom Lieutenant Brod, Speck u.
Schnaps verteilt, was wir am nächsten
Morgen Mittwoch d.[en] 15. erst zum Frühstück
verzehrten. An diesem Tage also gestern
sollten wir nach Troyes (zwischen Nancy und Paris). Doch die directe
Bahn zwischen Chaumont u. Troyes war
zerstört, so daß wir über Chatillon s[ur]/S.[eine]
(südlich zwischen Troyes und Dijon)
fahren mußten, wo vor kurzem der schreck=
liche Überfall durch die Garibaldianer
(italienisches Freiwilligencorps auf Seiten Frankreichs)
war. Unser langer Zug wurde jetzt in
3 geteilt, um schneller über Feld zu kom=
men. Ich kam mit dem 1. schon um 2 Uhr
schon in Troyes an. Der 3. Zug kam erst um
10 Uhr, weil an selbem Tage wieder die

Schienen ausgerissen waren. Um 4 Uhr
war der Hauptmann von 16. Reg[iment] (1. u 3. Comp[agnie]), der das Ober=
kommando hat, mit den Billets (Fahrkarten) vom Maire
(Bürgermeister) zurück. Wir 56
(7. Westphälisches Infanterie-Regiment Nr. 56) waren mit
der 79ern (3. Hannoversches Infanterie-Regiment Nr. 79)
auf die Dörfer verwiesen. Doch da wir
keinen Officier mitbekamen mußten wir
auf den der 79er Lieut[enant] von Schoerlach (Auricher)
warten. Er zögerte sehr lange und schickte, da
wir ungeduldig wurden, endlich ein Comman=
do von 1 Unterofficier u. 12 Mann voraus.
Der junge Geß, von dem ich schon geschrieben,
sollte, weil er gut Französisch spricht, Führer
sein. Er rief mich u. forderte mich auf, mich an=
zuschließen, was ich sofort that. Das Dorf
St. Julien war 1 ½ Stunden von hier, ein ganz
netter Marsch, nach 6 tägiger Fahrt mit Gepäck.
So eben waren hier auch 150 rothe Husaren
(Brandenburgisches Husaren-Regiment)
eingerückt. Wir 14 Mann bekamen sofort
Quartier. Aber die andern rückten um
10 Uhr um u. wimmelten um 2 Uhr noch
auf den Straßen herum. Die Leute nahmen
u.[ns] äußerst freundlich auf, sie thaten Alles
was sie uns an den Augen ablasen. Ich
wußte nicht, ob ich es für Schmeicheln halten
sollte. Geß, mit dem ich zusammen liege,
und ich nahmen deshalb unsere Faschinen=
messer (breites Hiebmesser) mit ins Bett.
Heute morgen bin ich mit 4 Kamera=
den, wie gesagt, nach Troyes. Da habe

plötzlich Junkmann u. Jansen (Schlossers J.
Sohn) getroffen, worüber ich mich recht ge=
freut. Morgen früh 5 Uhr müssen wir
antreten, um 7 Uhr in Troyes sein und
marschieren dann auf Orleans los, wo
jede Abtheilung ihr Regiment suchen
muß. Wir werden morgen nur 2 Mei=
len machen, also nicht viel. Meine
Unterjacke werde ich wohl ausziehen und
weg schmeißen, weil es mir zu warm
ist. Es ist nämlich wirklich das reinste
Frühlingswetter, so schön, wie man
es nur wünschen kann. Mit dem Fran=
zösischen kann ich ziemlich fertig werden.
Oft muß ich aber sagen: je ne comprende
pas (ich versteh es nicht), die Franzosen
schnattern, wie die Gänse u. das in Einem
zu. Es giebt manchen Scherz, wenn unse=
re Leute sich nicht mit ihnen verstän=
digen können. Sie freuen sich sehr, wenn
wir Französisch können, u. sind dann
noch einmal so freundlich. Was unsere
Schnüre (bei Einjährig-Freiwilligen um die Schulterklappen) bedeuten,
haben sie schon los.
Uns holen sie als Dolmetscher herbei.
Nun lebet recht herzlich wohl. Auf ein
baldiges Wiedersehen hofft
Euer
Heinrich.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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