Brief (Transkript)
Heinrich Begemann an seine Eltern am 4.12.1870 (3.2013.3340.10)
Liebe Eltern !
Da heute meine lieben Freunde aus Göttingen
! dagewesen sind, um uns vorläufig zum letzten
Mal zu sehn, habe ich heute keine Zeit gehabt, Euch
zu benachrichtigen, daß nach so langem lan=
gem Warten endlich in dem Augenblicke, wo
der Winter so recht kräftig antritt, es dazu kommt,
daß ich mit meinen Kameraden nach Frankreich
aufbreche. Die späte Abendstunde muß ich daher
noch wohl dazu benutzen.
Ihr werdet vielleicht schon davon gehört haben,
daß eine größere Zahl von Ersatzmannschaft=
ten in diesen Tagen nach Frankreich abgeht. Wie
andere, so soll auch unser Regiment jetzt
bedeutend verstärkt werden. Am Mittwoch geht
eine große Anzahl von Reconvalescenten (Genesene) ab,
denen die Theologen u.[nd] Mediciner zugefügt
sind. Da nämlich anfänglich bloß dieser Nachschub
beabsichtigt war, so wollte man diesen Leuten
zunächst die Ehre erweisen, da sie eben ganz frei=
willig dienen. Am Freitag geht dann aber
ein weiterer Nachschub von 400 Mann zu un=
serem Regimente, wozu nun natürlich sämmt=
liche Freiwillige sowohl Ein= als Dreijährige
ausgewählt sind, der Rest des Battaillons wird
Sonntag nach Göttingen zurückkehren u. dort nach
Einstellung neuer Rekruten ein neues Ersatz=
battaillon bilden.
Ich hoffe, theure Eltern, daß Ihr diesmal, wo die
Nachricht von meinem Fortgange sich nun wohl
verwirklichen wird, nachdem Ihr Euch durch die
verschiedenen falschen Nachrichten schon darin
eingelebt, im Vertrauen auf Gott, der mich
wohl und gesund in Eure Arme zurückliefern
möge, recht ruhig u. gefaßt darin findet. Viel=
leicht werdet Ihr, und das mit Recht, jetzt um so=
mehr Sorge haben, da die Kälte des Winter
mit solcher Heftigkeit herein bricht. Aber beden=
ket immer, daß falls der allmächtigen Gott,
auf den vertrauend ich dem inneren
Drange folgend diesen Weg der Pflicht gehe, mit
mir ist, niemand mir etwas anhaben wird.
Falls es sein Wille ist, werde ich wie ich gegangen,
zu Euch zurückkehren.
Mit Allem, was ich nöthig habe, bin ich ja so
ziemlich versehen, ja gut versehen. Von Kopf bis
zu Füßen stecke ich ja in Wolle. 2 wollene Hemden
bekommen wir noch dazu geliefert, sodaß ich
2 übereinander anziehen werde, wo es Noth
thut. Nur meinen Rocksärmel möchte ich vielleicht
noch wohl mit Flanell ausfüttern lassen; doch
ist das vielleicht auch nicht nöthig. Dann muß ich
noch ein Paar Taschen in den Rock machen lassen
u. etwa ein Paar Strumpfbänder knüpfen.
Das Schlimmste ist aber das eine Paar Stiefeln.
Doch hoffe ich bei dem Hauptmann, der freilich
sehr penibel ist, durchzukommen, nachdem ich
sie habe flicken und benageln lassen.
Was meine Sachen in Göttingen betrifft, so
habe ich meine Freunde beauftragt, sobald ich
wirklich fort wäre, alle Kleidungsstücke
in meinem Koffer Euch herüber zu schicken.
Schreibet mir nun sofort wieder, das wird
dann der letzte Brief sein, den ich in 3 – 4 Wochen
von Euch erhalte, liebe Eltern. 14 Tage – 3 Wochen
werden wir jedenfalls unterwegs bleiben,
bevor wir zum Regiment kommen, das
vor der Festung Langres (Département Haute-Marne) liegen soll, 80 – 90
Stunden allein fahren wir auf der Eisenbahn,
wo die Kälte am schwersten zu ertragen
sein wird. Dann muß ich Euch, nachdem ich am
Ziele angekommen, meine genaue Adresse
schreiben und dann am Weihnachten hoffe ich
dann mal einen Brief von Euch wieder bekom=
men zu können. Ich werde selbstverständlich
Euch immer Nachricht geben können und es,
so oft ich kann, auch gewiß thun. Von Euch
kann ich nun aber in der ganzen Zeit nichts
erhalten u. bekommen. Sollte mir nun viel=
leicht, wie Ihr neulich schriebt, mein Frei=
tisch *) in Geld verwandelt sein, so möchte ich
Dich bitten, lieber Vater, mir davon zu schi=
ckn oder darauf vorzuschießen. Sonst ü=
berlasse ich Dir Alles. Geldopfer will ich
mehr verlangen bis zu der Zeit, wo ich wie=
der meine Studien antrete, in mein Va=
terland zurückgekehrt.
Bis dahin sei der liebe Gott nun aber
mich (mit) Euch und mit mir. Euch möge Gott
die Sorge, die Ihr insbesondere um mich haben
werdet, erleichtern u abnehmen und mir
möge, das bitte ich allermeist, den frohen,
freudigen Sinn, den ich bisher gehabt und
mit dem ich von dannen ziehe, erhalten.
Das walte Er.
Lebet wohl auf Wiedersehn !
Auf einen baldigen Brief hofft
Euer
Euch innigst liebender Sohn
Heinrich.
[5.12.70. Ich bin mit meinen Stiefeln heute morgen nur dadurch durchgekommen, daß ich
die eines Andern vorgezeigt habe, sonst wäre ich furchtbar abgerüffelt (getadelt). Habe ich
für den Freitisch (Studentenverpflegung) Geld bekommen, so möchte ich sehr gern noch ein Paar Commis=
stiefel (Militärstiefel) für 2 ½ rt (Reichstaler), die sehr gut sind kaufen, sonst nicht. Schreibt mir doch unter der Addr.
Pferdehändler Lehmann, Klagesmarkt 34]
Da heute meine lieben Freunde aus Göttingen
! dagewesen sind, um uns vorläufig zum letzten
Mal zu sehn, habe ich heute keine Zeit gehabt, Euch
zu benachrichtigen, daß nach so langem lan=
gem Warten endlich in dem Augenblicke, wo
der Winter so recht kräftig antritt, es dazu kommt,
daß ich mit meinen Kameraden nach Frankreich
aufbreche. Die späte Abendstunde muß ich daher
noch wohl dazu benutzen.
Ihr werdet vielleicht schon davon gehört haben,
daß eine größere Zahl von Ersatzmannschaft=
ten in diesen Tagen nach Frankreich abgeht. Wie
andere, so soll auch unser Regiment jetzt
bedeutend verstärkt werden. Am Mittwoch geht
eine große Anzahl von Reconvalescenten (Genesene) ab,
denen die Theologen u.[nd] Mediciner zugefügt
sind. Da nämlich anfänglich bloß dieser Nachschub
beabsichtigt war, so wollte man diesen Leuten
zunächst die Ehre erweisen, da sie eben ganz frei=
willig dienen. Am Freitag geht dann aber
ein weiterer Nachschub von 400 Mann zu un=
serem Regimente, wozu nun natürlich sämmt=
liche Freiwillige sowohl Ein= als Dreijährige
ausgewählt sind, der Rest des Battaillons wird
Sonntag nach Göttingen zurückkehren u. dort nach
Einstellung neuer Rekruten ein neues Ersatz=
battaillon bilden.
Ich hoffe, theure Eltern, daß Ihr diesmal, wo die
Nachricht von meinem Fortgange sich nun wohl
verwirklichen wird, nachdem Ihr Euch durch die
verschiedenen falschen Nachrichten schon darin
eingelebt, im Vertrauen auf Gott, der mich
wohl und gesund in Eure Arme zurückliefern
möge, recht ruhig u. gefaßt darin findet. Viel=
leicht werdet Ihr, und das mit Recht, jetzt um so=
mehr Sorge haben, da die Kälte des Winter
mit solcher Heftigkeit herein bricht. Aber beden=
ket immer, daß falls der allmächtigen Gott,
auf den vertrauend ich dem inneren
Drange folgend diesen Weg der Pflicht gehe, mit
mir ist, niemand mir etwas anhaben wird.
Falls es sein Wille ist, werde ich wie ich gegangen,
zu Euch zurückkehren.
Mit Allem, was ich nöthig habe, bin ich ja so
ziemlich versehen, ja gut versehen. Von Kopf bis
zu Füßen stecke ich ja in Wolle. 2 wollene Hemden
bekommen wir noch dazu geliefert, sodaß ich
2 übereinander anziehen werde, wo es Noth
thut. Nur meinen Rocksärmel möchte ich vielleicht
noch wohl mit Flanell ausfüttern lassen; doch
ist das vielleicht auch nicht nöthig. Dann muß ich
noch ein Paar Taschen in den Rock machen lassen
u. etwa ein Paar Strumpfbänder knüpfen.
Das Schlimmste ist aber das eine Paar Stiefeln.
Doch hoffe ich bei dem Hauptmann, der freilich
sehr penibel ist, durchzukommen, nachdem ich
sie habe flicken und benageln lassen.
Was meine Sachen in Göttingen betrifft, so
habe ich meine Freunde beauftragt, sobald ich
wirklich fort wäre, alle Kleidungsstücke
in meinem Koffer Euch herüber zu schicken.
Schreibet mir nun sofort wieder, das wird
dann der letzte Brief sein, den ich in 3 – 4 Wochen
von Euch erhalte, liebe Eltern. 14 Tage – 3 Wochen
werden wir jedenfalls unterwegs bleiben,
bevor wir zum Regiment kommen, das
vor der Festung Langres (Département Haute-Marne) liegen soll, 80 – 90
Stunden allein fahren wir auf der Eisenbahn,
wo die Kälte am schwersten zu ertragen
sein wird. Dann muß ich Euch, nachdem ich am
Ziele angekommen, meine genaue Adresse
schreiben und dann am Weihnachten hoffe ich
dann mal einen Brief von Euch wieder bekom=
men zu können. Ich werde selbstverständlich
Euch immer Nachricht geben können und es,
so oft ich kann, auch gewiß thun. Von Euch
kann ich nun aber in der ganzen Zeit nichts
erhalten u. bekommen. Sollte mir nun viel=
leicht, wie Ihr neulich schriebt, mein Frei=
tisch *) in Geld verwandelt sein, so möchte ich
Dich bitten, lieber Vater, mir davon zu schi=
ckn oder darauf vorzuschießen. Sonst ü=
berlasse ich Dir Alles. Geldopfer will ich
mehr verlangen bis zu der Zeit, wo ich wie=
der meine Studien antrete, in mein Va=
terland zurückgekehrt.
Bis dahin sei der liebe Gott nun aber
mich (mit) Euch und mit mir. Euch möge Gott
die Sorge, die Ihr insbesondere um mich haben
werdet, erleichtern u abnehmen und mir
möge, das bitte ich allermeist, den frohen,
freudigen Sinn, den ich bisher gehabt und
mit dem ich von dannen ziehe, erhalten.
Das walte Er.
Lebet wohl auf Wiedersehn !
Auf einen baldigen Brief hofft
Euer
Euch innigst liebender Sohn
Heinrich.
[5.12.70. Ich bin mit meinen Stiefeln heute morgen nur dadurch durchgekommen, daß ich
die eines Andern vorgezeigt habe, sonst wäre ich furchtbar abgerüffelt (getadelt). Habe ich
für den Freitisch (Studentenverpflegung) Geld bekommen, so möchte ich sehr gern noch ein Paar Commis=
stiefel (Militärstiefel) für 2 ½ rt (Reichstaler), die sehr gut sind kaufen, sonst nicht. Schreibt mir doch unter der Addr.
Pferdehändler Lehmann, Klagesmarkt 34]
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