Brief (Transkript)

Heinrich Begemann an seine Eltern am 20.8.1870 (3.2013.3340.3)

 

Göttingen. 20. VIII. [18]70.

Liebe Eltern !

Der gestrige Abend war wieder ein Abend
des Jubels, der Freude und der Begeisterung.
Um 8 Uhr traf die Nachricht von dem neuen
großen Siege (Schlacht bei Colombey-Nouilly 14.08.1870) ein.
Sofort entfaltete Göttingen
sein Flaggenschmuck, der von einer allge=
meinen Illumination begleitet war. Dicht
gedrängte Volksmassen durchzogen die Stra=
ßen und sammelten sich auf dem Markt,
wo auf dem Balkon eines Eckhauses die
lorbeerbekränzte Büste des Königs aus=
gestellt, fortwährend von dem schönsten
bengalischen Feuer beleuchtet. Um 9 Uhr
spielte ein Musikchor den Coral: „ Nun
danket alle Gott“ und nachdem so dem All=
mächtigen die Ehre gegeben war, wurde
ein Hoch auf den Heerführer Deutschlands (König Wilhelm von Preußen)
ausgebracht, dem dann verschiedene Na=
tionallieder, von einer unzähligen Men=
schenmenge begleitet, folgten. Ein Umzug
durch die Stadt schloß die Siegesfeier.
Es ist wirklich etwas Immenses, 3 so
großartige Siege hintereinander am
14. (s.o.), 16. (Schlacht bei Mars-la-Tour/Vionville) u[nd] 18. (Schlacht bei Gravelotte) Die französische Armee ist
getrennt u. der Krieg jedenfalls fürs

Erste entschieden. Aber die Vortheile, die
unsere tapferen Krieger errangen, sie
haben viel, viel Blut gekostet. Unser 56.
Regiment (7. Westphälisches Infanterie-Reg. Nr. 56) ist schon am 16.
fast aufgelöst. Nach einem
Briefe des Obersten sind vom 2. Bat.[aillon] nur
3 Officiere unverwundet. So kommt
den[n] jetzt an uns die Reihe, die entstandenen
Lücken zu füllen. Es ist zunächst befohlen,
200 Mann von hier nachzuschicken. Heute
Morgen sind nach stattgefundener Inspici=
rung, da mit dem gestrigen Tage unsere
eigentliche Ausbildung beschlossen war, 100 von
uns Freiwilligen dazu ausgewählt. Lei=
der habe ich noch nicht das Glück, fürs Vater=
land mit ausziehen zu dürfen. Auch haben
der größte Theil meiner Couleurbrüder (Studenten, Burschenschaftler)
wie meiner Auricher Freunde dasselbe
Schicksal (Huizinga, Remmers z.B.). 2 von den
Germanen (Göttinger Burschenschaft von 1851)
sind mit dazwischen. Am Montag
werden sie wahrscheinlich schon Göttingen
verlassen. Diesen wird aber bald, wahr=
scheinlich Ende nächster Woche, 400 folgen,
wozu dann wiederum 100 oder noch mehr
Freiwillige ausgewählt werden. Hoffent=
lich gehöre ich dann zu den Glücklichen
und ziehe mit hinaus. Unerwartet rasch

ist durch die Ereignisse der letzten Tage
die Zeit gekommen, wo wir mit eingrei=
fen können. Außer sich vor Freude wa=
ren heute Morgen die Beglückten, wäh=
rend wir niedergeschlagen u.[nd] traurig waren,
bis diesen Nachmittag uns verkündet
wurde, daß mit 8 Tagen schon wieder
ein Nachschub stattfinden sollte. Ich möchte
mir lieber alles Andere wünschen, als
dann hier bleiben zu müssen.
Von meinen Freunden, die schon mitgezo=
gen sind, habe ich noch keine Nachricht. Viel=
leicht, ja wahrscheinlich, da so viele gefal=
len sind, sind auch sie schon todt. Auch unsere
Ostfriesen werden gewiß sich tüchtig geschla=
gen u. viel verloren haben. Das 78.
Reg. (Ostfriesisches Infanterie-Regiment Nr. 78)
gehört ja auch [z]um 10. Armeecorps,
das gerade am 16. ins Feuer gewesen
ist, und steht nahe bei dem 56. Wenn Ihr
etwas Näheres hört, so schreibt mir es
noch.
Deine Sendung, liebe Mutter,
habe ich gerade erhalten, als ich den letzten
Brief mit den Papieren abgegeben
hatte. Alles ist wunderschön und habe
mir schon tüchtige Abendmahlzeiten

davon geleistet. Hoffentlich ist Dein Unwohl
sein wieder ganz vorüber; Du hast Dich wohl
gescheut, mir das gleich zu schreiben und
deshalb blos vom Doctor gesprochen. Mag
Euch alle miteinander dieser Brief im besten
Wohlsein antreffen. Die kleine Henny
möchte ich recht gern mal wieder sehen.
Hoffentlich ist sie munter und fidel.
Was ich noch wohl haben möchte, sind wolle=
ne oder seidene Hemde, nicht Brusttücher. Ich kann ja
nicht ½ Dutzen[d] leinerne Hemde mit neh=
men, sondern höchst eins an und eins im
Tornister. Leinene werden da nun bald voll
Schweiß und Schmutz sein. Wollene sind
nun sowohl gut beim Schwitzen, da sie vor
Erkältung schützen, als auch wohl 4 Wochen
getragen werden können. Da kann man
auch schon mit einem aus. Es kostet aber
eins 2 rt (Reichstaler). Solltet Ihr mir so eins, aber
ja recht, nicht roth, oder das Geld
dazu, was wohl am besten, schicken können?
Der Bogen ist schon wieder voll und der
Schluß daher am Platz. Bestimmt ist über
mich also noch nichts, es kann aber jeden
Tag kommen. Sobald ich Bestimmtes
weiß, werde ich Euch natürlich schreiben.
Gott, der Allmächtige, sei mit Euch. Lebet
wohl!

Euer
Heinrich.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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