Brief (Transkript)

Heinrich Begemann an seine Eltern am 16.8.1870 (3.2013.3340.2)

 

Göttingen. 16. VIII. [18]70.

Liebe Eltern !

Im Besitz Eurer beiden Briefe, ist es für
mich nun wohl die höchste Zeit, wieder zu ant=
worten. Allerdings habe ich nun keine gro=
ße Lust zum Schreiben, da ich von halb 2 bis
jetzt (halb 9) thätig gewesen bin. Wir haben
heute Nachmittag, wie auch gestern, morgen,
übermorgen nach der Scheibe geschossen. Das
ist nun freilich gar kein schwerer, sondern
ein leichter und angenehmer Dienst; aber
man muß dabei ja immer so lange war=
ten, was überhaupt für den Soldaten das
Schlimmste ist. Jedoch will ich heute Abend
noch Anfang machen, um etwas morgen
auf die Post zu geben. Die Fortsetzung
wird folgen. Zunächst meinen Dank und meine
Freude darüber, daß Ihr nun wieder
mit mir zufrieden. Es ist mir immer
furchtbar ungemüthlich, wenn wir, lieber
Vater, nicht miteinander im Reinen
sind; das wird am Ende jedem Sohn in der
Fremde so gehn, wo man nicht alles brieflich,
soklar, wie mündlich auseinander setzen

kann. Jetzt bin ich wieder guter Dinge,
munter und wohl wie immer. Daß mich
der Dienst so sehr anstrengt, braucht Ihr
nicht so zu fürchten; wie Ihr es anschei=
nend thut. Freilich wird man zu weilen
etwas müde; aber das schadet eben gar
nichts; eben dadurch bekommt man mehr
Kräfte. Und alles, was man mit Lust
und Liebe treibt, wie ich jetzt das Soldaten=
handwerk, sonst aber wohl nie, wird
Einem auch nicht schwer.
Heute sind hierher 30 von unserm Regi=
mente zurückgekommen, die unterweges
liegen geblieben sind, gewiß zum größ=
ten Theil faule Kerls (abwertend für wehrpflichtige Soldaten), die lieber fressen,
als kämpfen möchten. Daß ich gerade wünsche,
daß Lücken in unserem Reg.[iment] (7. Westphälisches Infanterie-Reg. Nr. 56) entstehen,
müßt Ihr nicht meinen. Daß ich aber
wünsche, möglichst bald hier weg vor
den Feind zu kommen, werdet Ihr mir
nicht verargen. Die Mütter, die sich fast
umbringen, wie Du schreibst, kann ich
wirklich, liebe Mutter, nur verachten,
nicht bedauern. Sie lieben nur sich selbst

und ihre Söhne, nicht ihre Stammesbrüder,
nicht ihr Vaterland, nicht ihr Volk, demen
sie Sprache, Bildung kurz alles, was sie
haben, verdanken. Gewiß ist es einem
Mutterherzen nicht zu verargen, wenn
es ihr schwer wird, einen Sohn in die Gefahr
hinaus zusenden, wenn sie wehmüthig
ihm nachblickt und auf seine Rückkehr harrt.
Aber die Mutter, die ihren Sohn daheim be=
halten mag, wo so viele Tausende ihre Söhne
auf Nimmerwiedersehen für die Gesammt=
heit dahin geben, die in ihrem Schmerze
nicht zugleich stolz darauf ist, daß auch sie
einen Sohn geboren, der mit vielen Tau=
senden seiner Brüder für die heiligsten
Güter, die wir überhaupt auf Erden haben,
kämpft, die da ihres Schmerzes nicht Herr
werden kann, die kann und muß man
wirklich verachten. Daß es gerade viele
ostfriesische Mütter der Art giebt, betrübt
mich zu weilen. Sich selbst und ihre Söhne
wollen sie nicht dahin geben, wohl für
Andere, die sich schießen und schlagen, las=
sen, Geld und Gut von ihrem Überfluß.

Mittwoch. 17.VIII.[18]70.

Wer nun auch nicht mal Geld und Gut opfern
will, wie einige unserer Fr.[auen], den sollte man
nicht einmal anspucken.
Wir sind heute Morgen schon wieder um 5 ½ Uhr
angetreten zum Schießen, um 5 saß ich schon zu
putzen an dem, was ich gestern Abend nicht
mehr fertig gebracht hatte. Heute Morgen
bin ich ziemlich gut abgekommen, da ich mit
zuerst daran kam und schon um 8 Uhr wie=
der nach Hause gehen konnte. Ich habe ganz
gut geschossen.
Sagt Göing nur, um noch darauf kurz zu
antworten, daß ich seinem Sohn gleich nach
Ostern darüber geschrieben, aber keine Ant=
wort erhalten hätte. Wenn der es also nicht
einmal der Mühe es werth hielte, mir Ant=
wort zu geben, so daß ich gar nicht wüßte,
ob er noch wohl in Burhafe (jetzt Stadtteil von Wittmund) wäre, so sehe ich
mich nicht veranlaßt, das Buch dahin zu schi=
cken. Sollte Herr Göing jedoch selbst latei=
nische Vocabeln nachschlagen wollen, so
wollte ich ihm sehr gern auf seine Kosten
das Lexikon schicken.

(Fortsetzung in folg.[ender] Nummer.)

Euer
Heinrich.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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