Brief (Transkript)

Heinrich Begemann an seine Eltern am 7.8.1870 (3.2013.3340.1)

 

Göttingen, Sonntag. d.[en] 7. Aug[ust] [1870]

Liebe Eltern !

Da ich gerade ein Stündchen Zeit übrig
und das Briefschicken jetzt ja kein Geld habe
kostet, so benutze ich die Gelegenheit, obwohl
Ihr noch nicht wieder geschrieben habt, was Du
aber, liebe Mutter, hoffentlich heute thun wirst,
Euch noch etwas über meine tägliche Beschäfti=
gung, Göttingen u.s.w. mitzutheilen.
Um mit dem Morgen anzufangen, so stehe
ich um 5, spätestens 5 ½ Uhr auf. Nachdem ich dann
mein Gewehr u[nd] meinen Rock (Uniformjacke) geputzt, wo mög=
lich auch Kaffee getrunken habe, gehe ich um 6 ¼
zum Dienst. Wir ziehen dann, nachdem wir
bei der Kaserne angetreten sind, unter Gesang
nach der Masch, einer Wiese nahe bei der Stadt,
wo unsere Übungen stattfinden. Um halb
neun haben wir eine kleine Pause, in der
ein mitgebrachtes oder dort gekauftes
Frühstück eingenommen wird. Dann wird
wieder bis 10 Uhr exerciert und um 10 ½ wer=
den wir wieder, wenn nicht etwas besonders
Löhnungs=, Brod= oder ein anderer Appell
vorliegt nach Hause geschickt. Um 12 ½ Uhr
haben wir zur Parole (Parolenausgabe und Vergatterung) wieder anzutreten.
In der Zwischenzeit lege ich mich gewöhnlich
einen Augenblick aufs Sopha, reinige dann
meine Kleider von dem fürchterlichen

Staub (d.h. gestern hats gerechnet, und augen=
blicklich ists ein starkes Gewitter, der
Regen fließt in Strömen vom Himmel),
wasche mir den Schweiß vom Leibe u.s.w.
Um 1 Uhr wird gegessen. Nach Tisch habe
ich wieder Gewehr, Rock, Koppel (Helm und
Tornister haben wir noch nicht) zu putzen
u.[m] 3 ¼ muß ich wieder hinaus zum Antre=
ten. Bis 6 Uhr wird dann wieder exerciert
und 6 – 7 ist Instructionsstunde. Wenn
wir dann um halb 8 zu Hause gekom=
men sind, trinke ich Thee u esse mein A=
bendbrod oder auch nicht und leiste mir
dann vielleicht noch einen Schoppen Bier.
Um halb 10, fast nie später als 10 gehe ich
zu Bett. Gestern war es erst neun. Ich
glaube, das Aufstehn u. zu Bettgehn wird
Dir, Vater wohl gefallen. Im Ganzen
greift mich der Dienst sehr wenig an. Ich schwi=
ze aber wie ein Roß bei der Hitze und zu=
weilen bin ich wohl ein wenig müde.
Täglich kommen noch meine Freiwillige (Einjährig-Freiwillige)
zu uns: Referendare, Forstbeamte, viele
Gymnasiasten u.a., auch einzelne Stu=
denten kommen noch nachgewackelt.
Wenn es aber so weiter geht, mit dem
Glücke unserer Armee, so werden wir

vielleicht unnöthig sein. Schon die Nachricht
von der siegreichen Schlacht bei Weißenburg (am 04.08.1870)
rief große Freude hervor. Freitag
Abend 12 Uhr sind die dort gemachten
Gefangenen, Turcos (algerische Tirailleure, Schützen) darunter, hier durch=
gekommen. Ich habe sie nicht gesehen, da
ich schon lange zu Bett lag. Gestern Abend
ist nun aber die Nachricht von dem einen
glänzenden Siege Fritzens (Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen), wie der Kö=
nig sagt, hier eingetroffen. Die Stadt ist theilwei=
se illuminirt gewesen, Musikchor an
der Spitze einer großen Volksmenge
durch die Stadt gezogen, kurz die Aufregung
eine ungeheure gewesen bis 2 Uhr hin.
Da ich schon von 9 Uhr an, wie gesagt, einen
tiefen Schlag schlief, habe ich von dem gan=
zen Specktakel nichts gemerkt und
erfuhr die frohe Nachricht erst heute Mor=
gen. Von vielen Häusern wurde heute ge=
flaggt. Den ganzen Tag über trafen Depe=
schen (Telegramme) und Extrablätter ein, die an den
Straßenecken u. öffentlichen Gebäuden
angeschlagen werden. Soeben 7 Uhr traf
die Nachricht von der ungeheuren Aufre=
gung ein, die in Paris herrscht. Napo=
leon wird wohl schon übel zu Muthe
werden. Nächstens werden wohl
wieder große Gefangenentranspor=

te durchkommen. Auch Verwundete wer=
den wohl bald eintreffen. Es werden
hier große Reservelazarette errichtet
und den ganzen Sonntag über daran
gegenarbeitet, 900 Betten, wie ich höre.
So eben wird wieder schön gespielt „Nun
danket alle Gott“, ich denke im Concert,
oder vielleicht am Bahnhof. Fürwahr, wir
müssen Gott danken, daß er uns so beisteht,
und ihn anflehen, daß er uns weiter
hilft. „Gott mit uns“ sei unser beständiges
Wunsch u. Gebet.
Wäsche brauche ich jetzt nicht herüberschicken.
Ich gebrauch ja nur Hemde, Strümpfe und
so was, die aber auch um so mehr, die
meisten haben wollene Hemde an, die
aber sehr theuer sind. Wenn wir erst
ausrücken muß ich wohl 1 oder 2 haben,
da das Waschen dann aus ist. Wenn
Ihr mir nochmal was schicken wollt, so
möchte ich bitten um etwas Butter, Wurst
oder sonst etwas aufs Butterbrod.
Meine Frau Doktorin hat mir heute ge=
sagt, daß sie meine Butter, die zu
alt geworden war und die ich ihr
überlassen hatte, bei der Verpflegung
der durchziehenden Truppen verwandt
hatte.

(seitlich links randgeschriebener Text)

Sie fragte mich, was sie in Ostfriesland wohl kostete und ob sie da wohl etwas
her bekommen könnte? Grumme ist bei der Verpflegung der Truppen am Bahn
hof auch sehr thätig, ich habe ihn 2 mal gesprochen. Herzliche Grüße von

Eurem Heinrich.


 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top