Brief (Transkript)

Johann Schiller an seinen Bruder Jakob am 20.9.1812 (3.2012.2251)

 

Mosgau den 20 Sept 1812

Lieber Bruder und Geschwistrig,

Ich will Euch nur mit wenigen Worten berichten, indem
der Curier Romig von uns abgehen thut. Diesen Brief
von meiner Schwester Dorothea habe ich erhalten, welches mich
von Herzen gefreut hat, indem ihr doch antheil an unsrem Schiksal
nehmet, das ich es auch nicht so schreiben kann; wie es bey uns ist.
Ich kann Euch Liebe geschwistrig versichern, das ich nimmer Hoffnung
habe wieder nach Hauß zu komen. Dieße Kräften wo ich in
dem Feldzug verliehre, dieße sammle bekomme ich in meinem Leben
nicht mehr. Wir sind vor 3 Tagen in Moskau eingerückt,
dieße eine Stadt ist 6 mal größer und auch 10 mal größer als
Stuttgart ist rein ausgeplündert, und auch auf dem Rampen arg
gebrant worden, das hätte kein Mensch geglaubt, den habe ich das
erste mal in 4 Monat wieder Bier getrunken habe. Wein und Bran-
tenwein haben wir nach 4 auch in 5 Wochen von den Marge-
dentner bekommen, das Glas Brantenwein welches bey uns
2 [Kürzel für Kreuzer] kost, haben wir seit Frankfurt an der Oder
um 24 [Kürzel für Kreuzer] bezahlen müßen, und die halbe Wein
5, 6 und 7 [Kürzel für Gulden]. Dann hat man noch geglaubt
man schenke ihn hin.

So ist es draufgegangen vor der Hungersnoth, das kann ich Euch
nicht genug schreiben, indem die Leute benahe alle Hunger ge-
storben seyn. Liebe Geschwistrig, es wird Euch wohl bekent
seyn das ich in meinem Leben keine Zwiebel roh habe Eßen
können, und mich die Noth schon so weit gebracht hat, sie aus
der Hand zu Eßen, auch schon oft 8 und 14 Tage kein Brök-
kel Brod hab über meinen Mund gebracht, also könt Ihr Euch
vorstellen das ich nichts versparen kann, in dem Feldzug, wann
ich nur keine Schulden machen muß. Und was ich Euch bitten
thue, das ihr der Mutter nur nichts abgehen laßet, man solle ihr
von meinem Geld geben, wenigstens nur den Zinß von mir soll
soll sie einnehmen. Und wenn ihr euch erkundigt, das der Frei-
ter vom Fränzen, nach Hause gekommen ist, so könnt Ihr Euch bey
ihm erkundigen, wir sind alle Tage beysamen gewessen, er ist
mit des Kronprinzen Pferd gerstern abgegangen nach Stuttgart
es kann aber Weihnachten werden. Auch will ich schreiben
das 2 [Kürzel für Pfund] Brod kost haben seither 1 [Kürzel für Gulden]
und 48 [Kürzel für Kreuzer], das habe ich und mein Bedient
auf einmal geßen. Ich bericht auch das der Soldat Rommel bleßiert ist,
der Gall ist bis dato noch gesund von den übrigen
Klein Heppacher weiß ich nichts.

Und von meinen Leuten sind auch 2 Mann bleßiert und
ein Pferd Tod geschoßen worden. Ihr dürft nicht glauben
das wir nichts vom Feind gesehen haben. Liebe geschwistrige
ihr könnt sehen, das ich ganz von Sinnen bin, wie auch von
Kräften, der Mensch ist ganz wie Tod, ich hätte es in meinem
Leben nicht geglaubt, was ich Euch schreiben thue das behalt bey
euch, Ihr sollt es niemand schreiben

Ich grüße alle meine Geschwister, Mutter und alle gute
Freunde auch einen gruß an Jakob Schattenkircher
ich weiß das der Bub Soldat ist
Lieber Bruder, besorge mir das Briefgen
an H Leutenant Bep

getreuer Bruder
Joh. Schiller, Leutenant

 

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