Brief (Transkript)

Feldtelegrafist Otto F. an seine Schwester Auguste am 15.5.1864 (3.2011.637)

 

Gravenstein
am Osterfeiertage den 15.5.64.


Liebe Auguste!
Seit gesten Mittag befinde ich mich wieder in dem schönen Gravenstein
am Strande des Nibelnoer und genieße die schöne Zeit die uns die Waffen-
ruhe gebracht hat. Am Dienstag fuhren wir wie bestimt war in
Frankfurt ab, blieben die Nacht darauf in Berlin, was mir Gelegen-
heit verschaffte einige Stunden mit meinen dortigen Bekannten
zusamen sein zu können. Am anderen Morgen um 6 Uhr marschirten
wir dann nach dem Hamburger Bahnhof und fuhren bis Wittenberge
wo wir nach langem Herumlaufen Quartiere für die Nacht erhielten.
Wir vertrieben uns nun die Zeit so gut es gehen wollte, ich war
mit Selig zusamen im Quartier bei einem Bäcker und da die
guten Leute auch buntgeröckte Söhne hatten so pflegten sie uns ausnahmsweise gut. Am Donnerstag früh 3 Uhr wurde Generalmarsch
geschlagen, und unsere Colonne die bereits auf 300 Mann angewachsen
war setzte sich wieder in Bewegung nach dem Bahnhofe, und bald fuhren
wir Hamburg zu. Um die Mittagsstunde befand ich mich in Quartier
auf dem Kehrwieder in einem armseligen Hintergebäude; die Withs-
leute waren armselige Leute, sie hatten von anderen die Quartierung
übernomen um noch einigen Nutzen daraus zu lösen. Vier
Kinder gehörten zur Familie; aber sie waren verkomen und man sah es
ihnen an daß sie nie erfahren was Pflege und Reinligkeit sei.
Indessen legten wir dennoch unser Gepäck ab und reinigten uns um
in die Stadt zu gehen. Abens nachdem der Apell vorbei machte ich mich
auf um die Familie Schulz zu besuchen wo ich auch sehr freundlich
aufgenommen und zu Tisch gebeten wurde, auch viele Grüße an Euch
zur Bestellung erhielt. Am anderen Tage fuhren wir weiter über Neumünster,
Rendsburg, und Flensburg nach Rothenkrug von wo wir bis Bodum
marschirten und daselbst einquartirt wurden.
Am Sonnabend setzte ich dann meinen Weg allein nach Gravenstein
fort, ging bis Apenrade und fand dort Gelegenheit mit einem
Strohwagen den übrigen Weg fahrend zurückzulegen.
Freudig empfingen mich hier meine Kameraden, o! was hatten die
für Interessantes zu erzählen vom Düppler Sturm den sie von
der Station auf dem Spitzberge mit angesehen hatten, jeder hatte sich
da eine Trophäe erobert, Gewehre, Degen, Säbel, danskes Schnapsbuddel
u dergl.m. Jetzt bin ich hier bei einer Wtw. in Quartier wo ich ganz gut
Verpflegung aber ein schlechtes Nachtlager habe in dem sich besonders viele
Jütländer befinden. Heute Morgen wurde unsere ganze Abtheilung von einem
berliner Photographen aufgenomen und hoffe ich Euch später ein Exemplar
dieser Aufnahme zustellen zu können. Nachmittag habe ich mit mehren
Kamerraden im Niebelnoer mein erstes Seebad genomen, und
befinde mich ganz wohl danach. Prinz FRiedrich Karl hat jetzt Quartier auf Schloß Louisenlund bei Schleswig genomen, und werden wir hinfolgen um genanntes Schloß durch eine Feldleitung telegraphisch mit dem Staatstelegraphen zu verbinden und sollen wir dann die Zeit der Waffenruhe dort zur Erholung zubringen. Doch nun genug liebe Schwester, denn
es ist jetzt 6 Uhr und um 7 Uhr muß ich auf Wache ziehen.

Herzlich grüßt Euch Alle und wünscht Euch die beste Gesundheit

Dein
Bruder Otto.

Gravenstein den 15.5.64.

Adresse O.F. Garde Pionier der ersten Feld-Telegraphen-Abtheilung

Feld-Postbrief.

 

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